Kartiks Schicksal
Magische Reich gehen. Jetzt hast du es selbst getan!«
»Ja, und es tut mir leid, aber es ging um etwas anderes«, erkläre ich, obwohl ich selbst höre, wie wacklig es klingt.
»Du hast gelogen!«, ruft Felicity.
»Hör mir zu, bitte! Würdest du mir einen Moment zuhören? Ich habe die Medusa gebeten, die Hadschin und das Waldvolk beim Tempel zu versammeln, damit wir die Magie mit ihnen teilen können. Wir müssen heute Nacht hin. Begreifst du nicht?«
»Ich begreife, dass es dir herzlich egal ist, was deine Freundinnen denken. Was sie wollen.« In ihrem Kostüm ist Felicity jeden Zoll eine Kriegerin. Ihre Augen funkeln vor gekränktem Stolz. »Pippa hat mich gewarnt, dass das passieren könnte.«
»Wie meinst du das? Was hat sie gesagt?«, frage ich.
»Warum sollte ich dir das sagen? Vielleicht kannst du Kartik fragen. Du vertraust ihm mehr als deinen Freundinnen.«
»Jetzt bin ich hier bei euch, oder etwa nicht?«, sage ich mit mühsam unterdrücktem Zorn.
»Pippa meint, du willst die Magie nicht mit uns teilen. Dass du es nie gewollt hast, nicht so, wie sie es tun würde«, sagt Felicity.
»Das ist nicht wahr.« Aber ich kann nicht leugnen, wie sehr ich es genossen habe, etwas zu haben, was andere nicht hatten.
Felicity nimmt Anns Hand. »Es spielt keine Rolle«, sagt Felicity und zieht Ann mit sich zur Tür. »Du vergisst, dass wir tun können, was uns beliebt. Wir können das Magische Reich betreten, wann wir wollen. Mit dir oder ohne dich.«
*
Ich gehe durch die Räume wie in einem Fieber. Der Ballsaal wimmelt von fröhlichen Tänzern. Aber ich bin nicht in der Stimmung zu tanzen. Im Geist sehe ich jene schrecklichen Gespenster und Amar, der die Toten zur Opferung führt. Ich sehe den Schmerz in Kartiks Augen. Ich frage mich, wohin er gegangen ist und wann er zurückkommen wird. Ob er zurückkommen wird.
Auf der überfüllten Tanzfläche drehen sich Paare in einem Tanz mit komplizierten Schritten, aber sie meistern die Schrittfolge ohne jeden Fehler und ich bin neidisch. Denn für mich gibt es keine vorgeschriebenen Schritte, denen ich folgen kann; ich muss meinen eigenen Weg finden. Ich kann an dieser fröhlichen Versammlung von Prinzessinnen und Feen, Narren und Kobolden, Gespenstern und Illusionen nicht teilnehmen. Ich bin der Illusionen so müde. Ich brauche jemanden, der mir zuhört, der mir hilft.
Vater. Ich könnte ihm alles sagen. Es ist Zeit für die Wahrheit. Ich eile von einem Raum zum nächsten auf der Suche nach ihm. Fowlson lauert in einer Ecke. Er grinst mich höhnisch an. »Johanna von Orleans. Mit ihr hat es ein böses Ende genommen, nicht wahr?«
»Mit Ihnen könnte es jetzt ein böses Ende nehmen«, flüstere ich wütend und haste weiter. Endlich sehe ich Vater, in lebhaftem Geplauder mit Mrs Nightwing, Tom … und Lord Denby. Ich marschiere geradewegs auf das hinterhältige Schlitzohr zu.
»Was tun Sie hier?«, frage ich.
»Gemma Doyle!«, donnert Vater. »Du wirst dich sofort entschuldigen.«
»Das werde ich nicht. Er ist ein Monster, Vater!«
Toms Gesicht läuft rot an. Er blickt drein, als könnte er mich ermorden. Aber Lord Denby lacht nur. »Das kommt von der Emanzipation der Frauen, alter Knabe. Sie werden gefährlich.«
Ich entführe Vater in den Salon und schließe die Tür. Vater lässt sich in einem Sessel nieder. Er zieht die Pfeife, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe, und einen Tabakbeutel aus seiner Tasche. »Ich bin sehr enttäuscht von dir, Gemma.«
Enttäuscht. Das Wort schneidet mir wie ein Messer ins Herz. »Ja, Vater. Es tut mir leid, aber es ist wirklich dringend. Es betrifft etwas, was du über mich wissen musst. Über Mutter.« Mein Puls geht rascher. Die Worte brennen mir auf der Zunge. Ich könnte sie hinunterschlucken wie eine bittere Pille, wie ich es so viele Male zuvor getan habe. Es wäre leichter. Aber ich kann nicht. Sie kommen wieder hoch und ich ersticke sonst daran.
»Was wäre, wenn ich dir sage, dass Mutter nicht die war, die sie zu sein schien? Wenn ich dir sage, dass ihr wirklicher Name Mary Dowd war und dass sie ein Mitglied einer Geheimgesellschaft von Zauberinnen war?«
»Ich würde sagen, dass das kein sehr guter Scherz sei«, antwortet er düster und stopft Tabak in den Pfeifenkopf.
Ich schüttle den Kopf. »Es ist kein Scherz. Es ist wahr. Mutter besuchte Spence Jahre vor mir. Sie verursachte das Feuer, das den Ostflügel niederbrannte. Sie war ein Mitglied einer Gemeinschaft von Magierinnen, genannt der Orden des
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