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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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Zähne, worauf das Ding unter den Felsen zurückschlüpft, bis nur noch seine blinzelnden Augen zu sehen sind.
    Die Raben umkreisen uns unter lautem Geschrei. Sie führen uns aus der Schlucht heraus und mein Puls beschleunigt sich, denn wir sind auf der Heide. Und da vor uns erhebt sich der Baum Aller Seelen.
    Die dunklen Geister der Winterwelt versammeln sich auf dem Feld. Kartik drückt meine Hand und ich fühle, wie seine Angst sich mit meiner verbindet. Drei der Toten werden nach vorn gebracht – eine Frau und zwei Männer. Neben mir schnappt Kartik nach Luft. Unmittelbar hinter dem Geisterheer, auf einer prächtigen Stute reitend, erscheint Amar.
    »Je mehr wir opfern, umso stärker wird unsere Zauberkraft«, brüllt er, während die Toten vor dem Baum Aller Seelen auf ihre Knie gezwungen werden.
    »Gebt ihr euch aus freien Stücken hin, um einer größeren Herrlichkeit willen? Wollt ihr euch für unsere Sache opfern?«, fragt Amar sie.
    »Ja, das wollen wir«, antworten sie tonlos.
    »Diese Seelen sind bereit«, sagt Kartiks Bruder.
    Die Wurzeln, die sich über den Boden ranken, schnellen wie Peitschen hoch, schlingen sich um die Hälse ihrer Opfer und hieven sie wie Puppen in die ausladenden Äste des Baumes hinauf. Amar zieht ein Schwert aus der Scheide an seiner Seite. Er reitet aus, wendet dann und galoppiert mit vollem Tempo in Richtung des Baumes wie ein Ritter beim Turnier.
    Auf der Heide verfolgen die dunklen Geister der Winterwelt das Ritual; einige kauern sich zusammen, während andere ihren Lobgesang anstimmen: »Opfer, Opfer, Opfer …«
    Vor unseren entsetzten Augen saust Amars Schwert auf die Toten nieder. Kartik will losstürzen, doch ich halte ihn am Arm fest. Das Blut der Toten tropft auf die Wurzeln, die es gierig aufnehmen. Mit einem entsetzlichen Schrei werden die Seelen der Opfer in den gewaltigen Baum hineingezogen. Wir können sehen, wie er noch größer wird. Seine mächtigen Äste strecken sich wie Riesenkrallen nach allen Richtungen. Der Himmel ist eine blutige Wunde.
    Amar und die Schergen legen ihre Hände an den knorrigen Stamm des Baumes und schlürfen in vollen Zügen alle vorhandene Magie, während die Geisterschar ruhig zusieht.
    »Eines Tages werdet auch ihr Zauberkraft trinken«, ruft einer der Schergen. »Nach der Opferung.«
    Die Geister nicken und glauben es fraglos.
    »Unsere Sache ist gerecht!«, ruft ein anderer. Der Mantel des Scheusals öffnet sich und enthüllt die wimmernden Seelen darin.
    »Die Freiheit ist zum Greifen nahe«, brüllt Amar. »Sie hat den Plan in Gang gesetzt. Alle Teile fügen sich zusammen. Wenn sie uns das Zeichen gibt, werden wir ihre mächtige Priesterin opfern und beide Welten – das Magische Reich und die Welt der Sterblichen – werden in unsere Hände fallen.«
    Die dunklen Geister schreien und schütteln im vermeintlichen Siegestaumel die Fäuste.
    Einer der Schergen schnuppert in der Luft. »Irgendetwas stimmt nicht«, heult er. »Ich fühle Lebende unter uns!«
    Knurrend und kreischend wenden sich die Geister einander zu, zeigen anklagend mit den Fingern. Einer springt mit dem Ruf »Verräter!« auf den Rücken eines anderen, bevor er seine Zähne in dessen Hals schlägt. Die Schergen versuchen, den Aufruhr unter Kontrolle zu bringen, aber es gelingt ihnen kaum, sich über dem Lärm Gehör zu verschaffen.
    »Kartik«, flüstere ich. »Wir müssen verschwinden.«
    Kartik starrt noch immer mit tränennassen Augen auf seinen verdammten Bruder. Ich warte seine Antwort nicht ab. Rasch ziehe ich ihn fort von der Menge und dem schrecklichen Anblick dessen, was aus seinem Bruder geworden ist. Vorsichtig huschen wir durch die Schar der dunklen Geister und entgehen nur knapp den Fausthieben, die uns um die Ohren fliegen. Als wir die Felsschlucht erreichen, höre ich Amar inmitten des Chaos’ nach Ordnung rufen. Der Himmel schreit. Eine weitere Seele wurde geopfert und die dunklen Geister brechen in vereinten Jubel aus.
    Noch mehr der hautlosen Wesen rutschen von den Felsen. Mit Händen so glitschig und flink wie Fische fassen sie nach unseren Knöcheln, sodass ich aufschreie. Das Echo meines Schreis hallt für einen Moment wider und ich fürchte, die anderen werden mich hören. Ich trete nach den Händen des grässlichen Dings, das mir am nächsten ist. Es schlüpft in sein Versteck zurück und ich ziehe Kartik so schnell ich kann zum Schiff.
    »Medusa, wir müssen schleunigst verschwinden«, sage ich.
    »Wie du wünschst, Gebieterin.« Sie

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