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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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war das eine einfache, fröhliche Weise, doch jetzt lässt sie das Blut in meinen Adern gefrieren. Es ist ein verzweifeltes Lied. Eins nach dem andern fallen die Mädchen ein, ihre Stimmen gewinnen an Kraft, bis Felicitys Schluchzen ganz darin untergeht.

57. Kapitel
    Felicity will mit niemandem von uns sprechen. Sobald wir nach Spence zurückgekehrt sind, stolpert sie die Treppen hinauf, dabei klammert sie sich ans Geländer, als wäre es der einzige Halt, der sie an die Erde bindet. Ann und ich reden nicht über das, was geschehen ist. Die Nacht ist schwer und bedrückend und lässt sich nicht durch Worte erleichtern. Erst als Ann mit einer Handarbeit zu Cecily gegangen ist, mache ich mich auf den Weg zu Felicitys Zimmer. Felicity liegt auf dem Bett, so reglos, dass ich fürchte, sie ist tot.
    »Warum bist du gekommen?« Ihre Stimme ist tonlos, ein Schatten ihrer selbst. »Bist du gekommen, um die Abartige zu sehen?« Sie dreht mir ihr tränennasses Gesicht zu. In ihrer Hand hält sie krampfhaft Pippas Handschuh. »Ich kann es in deinen Augen sehen, Gemma. Los, sag es.«
    Mein Mund öffnet sich, aber ich finde keine Worte.
    »Sag es! Sprich aus, was bereits jeder vermutet!«
    »Ich habe es nie vermutet. Ehrlich.«
    Ihr Atem geht schwer. Ihre Nase läuft. Feuchte Haarsträhnen kleben an ihren Wangen. Sie will mich nicht ansehen. »Aber jetzt weißt du’s und verachtest mich.«
    Tu ich das? Nein. Ich bin durcheinander, verwirrt. Ich habe Fragen, doch ich weiß nicht, wie ich sie stellen soll: War sie immer schon so? Empfindet sie ebenso für mich? Ich habe mich vor ihr ausgezogen. Sie hat mich gesehen. Und ich habe sie gesehen, habe ihre Schönheit bemerkt. Hege ich für Felicity heimliche Gefühle? Bin ich wie sie? Wie würde ich es wissen, wenn es so wäre?
    Felicity liegt quer über ihrem Bett und würgt an ihren Tränen. Ihr Körper wird von Schluchzen geschüttelt. Ich strecke unsicher die Hand aus und berühre sie. Ich lasse meine Hand auf ihrem Rücken liegen. Ich möchte etwas sagen, aber ich finde keine Worte. Also sage ich das Einzige, was mir in den Sinn kommt.
    »Du wirst wieder lieben, Fee.«
    Felicitys Gesicht ist in ihr Kissen gedrückt, aber sie rollt ihren Kopf hin und her. »Nein. Nein, das werde ich nicht. Nicht so.«
    »Schhh …«
    »Nie mehr.« Das Schluchzen überwältigt sie. Es erfasst sie in heftigen Wellen. Ich bin machtlos dagegen, kann nichts tun, als sie ihrem Schmerz zu überlassen. Endlich verebbt die Flut. Felicity liegt neben mir, schlaff und feucht, vollkommen erschöpft. Die langen Schatten des Abends kriechen über die Wände, rücken Schritt für Schritt näher. Schließlich breiten sie sich vollends über uns, hüllen uns ein in die Stille, die nur die Nacht bringen kann. Ich lege mich neben Felicity. Sie nimmt meine Finger in ihre feuchte Hand. Sie hält sie und ich ziehe sie nicht weg und das ist immerhin etwas. Wir liegen da, aneinander gebunden durch das zerbrechliche Versprechen unserer Finger, während die Nacht kühner wird. Furchtlos öffnet sie ihren Mund und verschlingt uns ganz.

58. Kapitel
    Der Zug dampft durch die Landschaft in Richtung London. Ich habe das Halstuch im Efeu gelassen, zusammen mit einer Nachricht für Kartik, in der ich ihn über Vater informiere und verspreche, so bald wie möglich zurückzukommen. Auch für Felicity und Ann habe ich Nachrichten hinterlassen. Wehen Herzens steige ich von der Kutsche in den Zug und wieder in die Kutsche, bis schließlich unsere Straße in Sicht kommt.
    Das Haus in Belgravia ist düster und still. Dr. Hamilton ist da. Er und Tom stehen in der Diele und führen mit gedämpften Stimmen ein Fachgespräch, während Großmama und ich im Wohnzimmer sitzen und ins Feuer starren, das wir nicht brauchen. Im Haus ist es bereits unangenehm warm, aber Großmama besteht darauf. Vaters Taschentuch in ihrer Hand springt auf wie eine zornige Blume. Auf dem ehemals weißen Grund ist ein kleiner roter Blutfleck.
    Tom kommt herein, leise und mit hängenden Schultern. Er schließt die Tür hinter sich und ein lastendes Schweigen breitet sich aus. Es ist mehr, als ich ertragen kann.
    »Tom?«, sage ich.
    Er setzt sich ans Feuer. »Er ist wieder rückfällig geworden. Vor Monaten schon.«
    »Vor Monaten?«
    »Ja«, sagt Tom.
    Ich habe Vaters Zusammenbruch nicht herbeigeführt. Es waren der Alkohol, das Laudanum und das Opium und diese verdammte Verweigerung des Lebens. Die egoistische Trauer. Ich dachte, ich könnte es mit Magie

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