Kartiks Schicksal
andere. Das ist keine Schande.« Sie erhebt sich. »Frauen haben dafür gekämpft, die Unantastbarkeit des Magischen Reichs zu bewahren, und sind dafür gestorben. Vielleicht könnten Sie sich ein ganz klein wenig beugen.«
Mrs Nightwings Röcke fegen steif über den Boden und Kartik und ich bleiben allein zurück. Bald wird der Vormittag in den Nachmittag übergehen. Die Dämmerung wird einfallen. Und dann die Nacht.
Felicity und Ann stürzen atemlos herein. »Wir haben zuvor an der Tür gelauscht«, erklärt Ann. »Bevor Miss McChennmine uns verscheucht hat.«
»Dann wisst ihr also, dass sie mir nicht glauben. Sie denken, ich bin verrückt und eine Lügnerin wie Wilhelmina Wyatt«, sage ich. »Wir sind ganz auf uns gestellt.«
Felicity legt mir eine Hand auf die Schulter. »Vielleicht irrst du dich, Gemma.«
Und ausnahmsweise hoffe ich, dass sie recht hat. Denn wenn sie kommen, dann weiß ich nicht, wie ich mich gegen sie wehren soll.
64. Kapitel
Der Regen spuckt vor Wut an unsere Fenster. Der Wind heult ohne Unterlass, ein Tier, das für die Nacht um Einlass fleht. Felicity und Ann haben halbherzig angefangen, Flohhüpfen zu spielen, um ihre Nerven im Zaum zu halten. Sie schnippen einander die bunten Plättchen zu, aber ohne die Punktzahl aufzuschreiben. Am Vorder- und Hintereingang halten Kartik und Fowlson Wache. Miss McChennmine tobt, aber Mrs Nightwing hat darauf bestanden und ich bin froh darüber. Ich wünschte, Inspektor Kent wäre hier, aber er ist mit Mademoiselle LeFarge nach London gefahren, um seine Familie zu besuchen.
Ich schaue aus den Fenstern des Marmorsaals in den zornigen Wind hinaus. Mein Tee bleibt unberührt. Ich bin viel zu unruhig, um ihn zu trinken. Brigid sitzt in dem großen Ohrensessel am Feuer und unterhält die jüngeren Mädchen mit Märchen, die sie verschlingen und von denen sie nicht genug bekommen können.
»Haben Sie schon einmal Kobolde gesehen, Brigid?«, fragt eines der kleinen Mädchen.
»Oh ja«, antwortet Brigid ernst.
»Ich hab Kobolde gesehen«, sagt ein dunkellockiges Mädchen mit weit aufgerissenen Augen.
Brigid lacht nachsichtig wie eine nette Tante. »Ist das wahr, Schätzchen? Haben sie deine Schuhe gestohlen oder Kekse für dich fallen gelassen?«
»Nein, ich habe sie letzte Nacht auf dem Rasen gesehen.«
Die Haare auf meinen Armen stellen sich blitzschnell auf.
Brigid runzelt die Stirn. »Rede keinen Unsinn.«
»Es ist kein Unsinn!«, behauptet das Kind. »Ich habe sie letzte Nacht aus meinem Fenster gesehen. Sie haben mir zugerufen, ich soll kommen und mit ihnen spielen.«
Ich schlucke schwer. »Wie haben sie ausgesehen?«
Brigid kitzelt das Mädchen. »Aber, aber! Du führst deine alte Brigid an der Nase rum!«
Aus Mrs Nightwings Gesicht spricht echte Angst. Sogar Miss McChennmine hört interessiert zu.
»Ich schwör’s«, sagt das Mädchen todernst. »Bei meinem Leben, ich hab sie gesehen – Reiter in schwarzen Mänteln. Ihre armen Pferde waren so kalt und fahl. Sie baten mich, herunterzukommen und mit ihnen zu reiten, aber ich habe mich zu sehr gefürchtet.«
Ann fasst nach meiner Hand. Ich fühle ihre Angst unter ihrer Haut pochen.
Mrs Nightwings Stimme klingt alarmiert. »Du sagst, das war letzte Nacht, Sally?«
»Lillian«, warnt Miss McChennmine, aber Mrs Nightwing ignoriert sie.
Das kleine Mädchen nickt heftig. »Sie hatten einen von den Komödianten dabei. Den großen, lustigen. Sie sagten, sie würden heute Nacht wiederkommen.«
Der Wind heult und lässt meine Teetasse auf der Untertasse klirren.
»Sahirah?« Mrs Nightwings Gesicht ist aschgrau geworden.
Miss McChennmine will nicht zulassen, dass dieses Feuer unter den Mädchen um sich greift; sie will es im Keim ersticken, genau wie Eugenia das vor so langer Zeit versucht hat. »Hör mir zu, Sally. Du hast geträumt. Das ist alles. Es war ein böser Traum.«
Das kleine Mädchen schüttelt den Kopf. »Es war wirklich! Ich habe sie gesehen.«
»Aber nein«, sagt Brigid. »Du täuschst dich. Man träumt manchmal so komische Sachen.«
»Vielleicht hab ich’s wirklich geträumt«, sagt das Mädchen. Sie haben sie verunsichert und somit ist der Fall erledigt; wie immer, wenn wir etwas wissen, was wir nicht wissen sollen.
»Heute Abend bekommst du ein schönes Glas warme Milch und dann wirst du gut schlafen und von keinen Träumen gequält werden«, versichert Miss McChennmine der Kleinen. »Jetzt aber Schluss, Brigid muss in die Küche und ihren Pflichten
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