Kasey Michaels
frische Luft nur guttun, da wir ja alle, sieht man von Nicoles
Morgenspaziergängen ab, seit einer Woche nicht mehr aus dem Haus gekommen sind.
Oder, Mädels?“
Wie
erwartet stimmte Nicole zu, doch überraschenderweise war Lydia ebenfalls mit
dem Vorhaben einverstanden. Und nachdem Rafe ins Ministerium gefahren war,
machten die Damen sich am späten Vormittag auf.
Ehe Rafe
ging, hatte er nicht anders gekonnt, als oben im Korridor Charlotte in die Arme
zu reißen und sie noch einmal leidenschaftlich zu küssen, wodurch er ihre
letzten Bedenken wegen ihres zügellosen Betragens der letzten Nacht verscheucht
hatte. Sie nahm an, dass ihr Leben von nun an immer so sein würde – tagsüber
einwandfrei schicklich und dem Anstand genügend, aber kaum dass es dunkel war
und sie allein sein konnten, würde sie ganz Rafe gehören.
Und schon
jetzt sah sie wieder der Nacht entgegen und dem Moment, da sie endlich allein
waren. Welch ein köstliches und verworfenes Gefühl!
Auf Anraten
des Butlers, dem Nicole ihr Vorhaben erläutert hatte, befahlen sie dem
Kutscher nicht, zur Bond Street zu fahren, sondern ließen sich zu einer weniger
bedeutenden, etwas abseits gelegenen Straße fahren, wo es eine Konfiserie
gab, die die köstlichsten Süßigkeiten Londons herstellte.
Eine ganze
Weile schlenderten sie in dem Geschäft umher, wählten Pralinen, kandierte
Früchte und Bonbons und dafür passende hübsche Dosen aus und fanden auch eine
Ecke mit Teespezialiäten, von denen sie für das frischgebackene Ehepaar
Grayson eine Auswahl einpacken ließen.
Nachdem die
Verkäuferin einige der Sachen abgefüllt und in einem hübschen Beutel verpackt
hatte, verkündete Nicole: „Ich bringe das hier schon mal in den Wagen.“
„Lieber
nicht“, wandte Charlotte ein, „ich mag nicht, dass du allein hinausgehst.
Dies hier ist zwar eine sehr ruhige Straße, aber immerhin sind wir in London
und nicht auf dem Land. In ein paar Minuten sind wir doch fertig hier.“
Nicole
verdrehte theatralisch die Augen. „Ehrlich, Charlotte, ich bin doch kein
Kleinkind mehr, ich brauche kein Kindermädchen! Nach der vergangenen Woche habe
ich wohl
bewiesen, dass ich erwachsen bin. Ich bin sofort wieder hier. Schau, Lydia
trödelt immer noch bei diesen hübschen Bonbongläsern herum. Es scheint ihr Spaß
zu machen. Findest du nicht auch, dass sie besser aussieht?“, endete sie
fast schon heftig.
„Ja, das
stimmt, und das verdanken wir dir, Nicole. Niemand könnte eine liebevollere
Schwester als dich haben.“ Ein Blick aus dem Schaufenster zeigte
Charlotte, dass der hintere Teil der Kutsche im Blickfeld war. Und dort waren
ihre Leute. Und es war helllichter Tag. „Also gut, dann geh, aber keine Umwege,
komm direkt hierher zurück.“
Aber Nicole
kam nicht zurück. Während der Rest der Einkäufe verpackt und Lydia
ausgehändigt wurde, lugte Charlotte mehrmals nach draußen und meinte
schließlich. „Ich glaube, Nicole wartet in der Kutsche auf uns.“
Unter
Verbeugungen und Dankesworten der Ladeninhaberin gingen die beiden jungen
Frauen endlich hinaus, wo sie Kutscher samt Groom auf dem Bock hocken sahen, in
den Anblick eines Handgemenges, das sich mitten auf der schmalen Straße
abspielte, so sehr vertieft, dass sie ihre Herrschaft nicht einmal bemerkten.
Und schlimmer noch, der Wagen war leer. Noch schlimmer – der Beutel, den Nicole
getragen hatte, lag auf dem Gehweg, der Inhalt teils verstreut darum herum.
Charlotte
lief zum Bock und herrschte die beiden Männer an. Im selben Moment lieBen die
Streithähne voneinander ab und rannten davon, in eine der Seitengassen. Dabei
wandten sie sich noch einmal um, lachten und winkten Charlotte sogar zu, als
hätten sie
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