Kasey Michaels
merkte, dass ich fort war,
hat sie sich bestimmt geängstigt.“
„Mach dir
um Lydia keine Sorgen“, erklärte Rafe, der zu dem Schluss kam, dass
liebende Schwestern zu haben schlimmer war, als Feinde zu haben. „Gib mir das
Ding“, fügte er hinzu und zeigte auf das Schüreisen. „Wir wollen ihn ja
nicht umbringen.“
„Ich hätte
nichts dagegen“, verkündete Nicole frech, „denn kaum hatte ich einen Fuß
vor diese Konfiserie gesetzt, stülpte mir jemand einen schmuddeligen Sack über
den Kopf und hielt mir die Arme fest. Dann wurde mir etwas Ekliges, widerlich
Riechendes vor Mund und Nase gehalten – und das Nächste, was ich mitbekam, war,
dass ich auf diesem hässlichen Bett lag, mit Fesseln an Händen und Füßen. Ich
wollte schon zu kreischen beginnen, aber dann dachte ich mir, dass das gar
nichts nützen würde, also befreite ich mich lieber, nahm das Schüreisen und
wartete hinter der Tür, bis jemand hereinkäme.“
„Und den
Gefallen tat dir dann Hobart.“
Sie nickte
heftig. „Ja, es war sehr freundlich von ihm, sich so günstig zu platzieren,
dass ich ihm einen ordentlichen Hieb auf den Kopf versetzen konnte. Denn weißt
du“, setzte sie ein wenig selbstgefällig hinzu, „ich bin nämlich gar nicht
nett.“
„Nein,
anscheinend nicht.“ Rafe gab ihr das Schüreisen zurück. „Hier, nimm; pass
kurz auf ihn auf. Ich will nach Charlie rufen, sie soll heraufkommen.“
„Ah,
Charlotte ist auch hier? Wie reizend. Eine richtige Gesellschaft!“
„Freche
Göre!“, sagte Hobart und sackte mit geschlossenen Augen platt auf den
Teppich, als ob er ohnmächtig würde.
„In der
Tat“, merkte Rafe an und drückte seine Schwester kurz, aber herzhaft an
sich, ehe er die Tür öffnete und nach Charlotte rief.
Von unten
antwortete jedoch Tanner und versicherte, dass er alles fest im Griff habe;
dann rannte Charlotte die Stufen empor und rauschte an Rafe vorbei in die
„Brautsuite“.
„Rafe, was
hast du gemacht?“, fragte sie besorgt. „Er ist doch wohl nicht tot?“
„So fest
konnte ich nicht ausholen“, klärte Nicole sie auf, während sie das
Schüreisen nur zögernd wieder an Rafe abgab. „Und wenn mir nun netterweise
jemand erklären würde, warum mich dieser grässliche Mann belogen hat? Und mich
entführt hat?“
In
brüderliche Panik versetzt, schaute Rafe hilfesuchend zu Charlotte. Die
verdrehte die Augen, nicht sonderlich begierig, eine zartfühlende Erklärung
finden zu müssen, die Nicole wiederum zu weiteren Fragen veranlassen würde.
„Ja, aber erst, wenn wir sicher wieder daheim sind.“
„Noch eine
Minute“, sagte Rafe, der gerade Hobart auf die Füße zerrte. Er stieß ihn
auf den nächstbesten Stuhl. „Sobald unser Freund hier mir den Namen jenes
Widerlings nennt, dem wir unten begegnet sind.“
Hobart
hatte den Kopf in seine Hände sinken lassen, nun schaute er auf und rieb sich
ächzend das Genick. „Egal, ich nenne Ihnen den Namen – jeden Namen, den Sie
wollen!“, sagte er.
„Nur nehmen Sie sie mit und geht! Die blöde Zicke hätte mich beinahe
umgebracht!“
„Noch
könnte ich mich hinreißen lassen, Sie grässlicher, schlechter Mensch“,
drohte Nicole und ging auf ihn zu, von ihrem Erfolg ganz übermütig geworden.
In diesem
Augenblick sprang Hobart, der doch so völlig geschlagen dagehockt hatte, auf,
zerrte Nicole an sich und hielt ihr einen bösartig aussehenden Dolch an die
Kehle.
Der
typische Trick eines Falschspielers, der immer mit einem Angriff rechnen
musste! Doch die Erkenntnis kam Rafe zu spät. Offensichtlich hatte Hobart die
Waffe auf dem Rücken in einem Futteral unter seinem Jackett verborgen getragen.
„Lassen Sie
sie los, Hobart!“, befahl Rafe, der seinen Platz zwischen der Tür und dem
Mann nicht aufgab. „Unten wartet der Duke
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