Kasey Michaels
draußen auf dem Gang sehen.“
Und dann
nahm er sich das letzte Zimmer vor, das dritte von links. Er holte tief Luft,
fasste die Pistole fester und versetzte der Tür einen so gewaltigen Tritt, dass
das morsche Schloss zerbrach und sie mit kreischenden Angeln aufflog. Das
Türblatt knallte gegen die Wand und schlug gleich wieder zu, doch Rafe war
schon in den Raum gestürzt.
Verblüfft
blieb er stehen und senkte seine Waffe. Er traute seinen Augen nicht! „Nicole,
was zum Teufel ... !“
Nicole saß
auf dem Rand eines großen, mit hässlichen Schnitzereien und roten,
verschlissenen Samtdraperien geschmückten Bettes und ließ die lässig
gekreuzten Füße so munter baumeln, als wäre alles in bester Ordnung.
Sie sah aus
wie immer. Nur dass sie ein schweres Schürei sen umklammert hielt.
Vor ihr,
lang hingestreckt auf dem fleckigen Teppich, lag Hugh Hobart; an seiner rechten
Schläfe prangte eine riesige Beule. Als er Rafe erblickte, wimmerte er und
versuchte, sich auf die Ellbogen aufzustützen.
„Nicht
doch, Mr Hobart“, flötete Nicole. „Sie wollen doch nicht, dass ich noch
einmal zuschlage, oder? Sonst fliegt Ihnen noch ihr bisschen Hirn aus den
Ohren heraus. Ehrlich, konnten Sie sich nicht denken, dass ich gut auf mich
aufpassen kann? Ja, so ist es brav“, schloss sie, da Hobart sich wieder
zu Boden sinken ließ.
„Sie hat
recht, Hobart. Bleiben Sie, wo Sie sind.“ Rafe betrachtete seine
Schwester und schwankte, ob er sie herzhaft drücken oder sie kräftig ohrfeigen
sollte, denn ihm dämmerte langsam, dass sie womöglich nicht ganz das kleine,
weltfremde Lämmchen war, als das er sie bisher gesehen hatte. „Nicole, willst
du mir erzählen, was hier geschehen ist?“
Ihre
Verwegenheit verließ sie plötzlich. Laut aufseufzend sagte sie: „Eigentlich
lieber nicht, wo das hier wohl ganz meine Schuld ist. Weißt du, ich hatte ihm
geglaubt, als er behauptete, er könnte mir helfen, denjenigen zu finden, der
es auf dein Leben abgesehen hat.“
Schockiert
fragte Rafe: „Was weißt denn du darüber?
Mit einem
verächtlichen Blick entgegnete sie: „Ach bitte, Rafe, glaubst du ernstlich,
irgendjemand könnte seine Geheimnisse vor mir bewahren? Als der da letztens
mit Charlotte sprach, habe ich die ganze Zeit vor der Tür gelauscht. Danach
habe ich mich regelmäßig mit ihm getroffen – na ja, nicht richtig getroffen. Er
hat immer einen Zettel unter einer der Bänke am Grosvenor Square versteckt, und
wenn ich morgens meine Runde um den Platz machte, nahm ich den an mich und
antwortete ebenso. Es war ... ganz schön aufregend.“
Rafe warf
dem Mann am Boden einen wütenden Blick zu. „Sie sind so gut wie tot,
Hobart!“
„Aber es
ist nichts passiert, Rafe!“, protestierte Nicole hastig. „Auch nicht,
nachdem er mich hierher gebracht und mich
gefesselt hatte! Jetzt frage ich dich, welcher vernünftige Mensch würde einem
die Hände vor dem Körper zusammenbinden? Besonders, wo ich so kräftige Zähne
habe! Ach, schau mich nicht so grimmig an, Rafe! Ich dachte, ich könnte mich
nützlich machen! Captain Fitzgerald ist nicht mehr. Wir dürfen dich nicht auch
noch verlieren. Und unser Mr Hobart hier hatte Charlotte erzählt, er wisse, wer
dich töten will. Ich fand, ich müsste die Sache selbst in die Hand nehmen. Als
ich heute Morgen hörte, wohin wir wollen, habe ich ihm rasch eine Nachricht
zukommen lassen und ... ach, muss ich weiterreden? Es tut mir wirklich leid,
Rafe.“
„Ja, das
glaube ich. Aber du scheinst dich ja selbst gerettet zu haben. Irgendwie komme
ich mir ein klein wenig überflüssig vor.“
„Nein,
Rafe, nein. Ich brauche dich. Ich habe die ganze Zeit gewartet, dass du kommst.
Immerhin habe ich keine Vorstellung, wo ich bin, nur dass es widerlich und
schmutzig ist und mieft. Geht es Lydia gut? Als sie
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