Kasey Michaels
spürte
Rafe den Wunsch, des Königs Rock noch einmal zu sehen, diese Kleidung, die so
lange Jahre zu ihm gehört hatte. Das Schicksal hatte anders entschieden, sonst
würde er sie immer noch tragen.
„Euer
Gnaden? Ihre Miss Seavers wartet vermutlich schon unten auf Sie.“
„Ja,
ja“, sagte Rafe, während er sich ein letztes Mal in dem Standspiegel
musterte. Sicher, dieser braune Reitanzug war nicht nur äußerst modisch,
sondern auch für den Anlass genau passend, aber er trauerte dem Scharlachrot
der Uniform nach. Im Scharlachtuch wusste er, wer er war.
Wer er war,
wusste er zurzeit nämlich überhaupt nicht.
Oben an der
Brüstung blieb er stehen und schaute hinunter in die Halle, wo Charlie wartete.
Sie trug ein marineblaues, eng anliegendes Reitkleid mit Husarenschnürung über
dem Busen und
dazu einen kecken hohen Hut im Husarenstil. In der Hand hielt sie seinen
eleganten Biberhut, den sie im Takt mit ihrem ungeduldig tappenden Fuß gegen
ihr Bein klopfte.
Anscheinend
hatte er sich immer noch nicht mit der Vorstellung abgefunden, dass Charlie
nun erwachsen war. Und so reizvoll dazu. Wohin sie ihn heute auch führen
wollte, es sollte sie wirklich ein Reitknecht begleiten, denn eine so schöne,
heiratsfähige junge Dame sollte besser nicht allein mit einem Mann ausreiten.
Als ob
ich beabsichtige, mich ihr zu nähern! Auf keinen Fall.
Obwohl ihm
der Gedanke gekommen war.
„Ich bitte
um Entschuldigung“, rief er, während er die Stufen hinuntereilte, „aber
mich hat dein Befehl erst vor ein paar Minuten erreicht.“
Fragend
schaute sie ihn an. „Befehl?“
„Ja, dass
ich mein hübsches Gesicht irgendwo zeigen soll, oder so ähnlich?“
Charlotte
zuckte gespielt komisch zurück. „Ich sollte nie vergessen, dass die Dienstboten
meistens wörtlich behalten, was sie vergessen sollen, und vergessen, was sie
sich merken sollen. Tut mir leid, Rafe. Nur dachte ich tatsächlich, dass diese
Dinge nicht länger aufgeschoben werden sollten. Beginnen wir mit dem Sägewerk,
dann besuchen wir die Cottages der Landarbeiter, danach die Mühle. Oder
möchtest du zuerst ins Dorf?“
„Das alles
hätten wir gestern Abend besprechen können, wenn du dich herabgelassen hättest,
zum Dinner zu erscheinen.“
„Ich hatte
etwas zu erledigen“, erklärte sie, wandte jedoch schuldbewusst den Blick
ab. „Ich war mit meiner Zofe bei meinen Eltern, ein paar notwendige Dinge
besorgen. Verzeih, dass mir nicht bewusst war, wie sehr verloren du ohne mich
bist.“
„Touché,
Charlie, gute gekontert. Ich habe dich wirklich vermisst, da ich nur die lange
Tafel anstarren konnte, während meine Schwestern mich ostentativ ignorierten.
Nicole plapperte
von nichts anderem als von neuen Hutbändern, und Lydia schien immer noch in
Angst vor mir erstarrt.“
„Lydia wird
sich bald gefasst haben. Sie neigt zu Gelehrsamkeit, ist still. Du solltest
dankbar darüber sein. Immerhin sind sie Zwillinge; stell dir vor, sie wäre wie
Nicole.“
„Da sei
Gott vor!“, rief Rafe gespielt entsetzt. „Lydia ist gelehrt? Das kann
nicht gut sein, vor allem nicht, wenn sie klüger ist als die Männer, die sie
trifft. Ist sie tatsächlich ein knospender Blaustrumpf?“
„Nicht
ganz, doch sie ist .ernst veranlagt. Ständig steckt sie ihre Nase in die Bücher
und lebt fast schon in der Bibliothek.“
Nach einem
Augenblick des Überlegens meinte Rafe: „Dann wäre sie vielleicht die Richtige,
um für Fitz Lesestoff auszuwählen. Erst vorhin hat er gefragt, ob ihm nicht jemand
vorlesen möchte.“
„Oh! Ob
Lydia sich in das Schlafgemach eines Mannes wagen würde, bezweifle ich. Aber
vielleicht wird sie zumindest ein paar Bücher aussuchen, die ihm ihrer Ansicht
nach gefallen könnten. Ein Diener kann sie ihm dann
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