Kasey Michaels
bringen. Noch besser auch gleich jemanden, der mir daraus
vorliest. Charlottes liebliche Stimme, die mir meine Leiden versüßt? Dein
verstorbener Onkel besaß doch Bücher, oder?“
„Tausende.
Allerdings kann ich mich nicht erinnern, jemals in diesem Haus jemanden mit
einem Buch in der Hand gesehen zu haben. Ich kann dir nicht versprechen, dass
Charlie dir vorlesen möchte. Außerdem bist du kräftig genug, selbst ein Buch zu
halten.“ Rafe stand vom Bett auf und nahm erschrocken zur Kenntnis, dass
sein Freund bei der Bewegung ächzend zusammenzuckte. „Morgen wäre vielleicht
auch noch früh
genug?“, fragte er besorgt.
„Teufel
auch, da hast du wohl recht“, murrte Fitz. „Du hast doch niemandem gesagt,
wie es dazu gekommen ist? Die Sache an sich ist schlimm genug, es muss nicht
jeder Mensch im Haus von meiner Ungeschicklichkeit erfahren.“
„Nur
Charlie, aber sie wird es nicht weitertragen. Also kannst du dir immer noch
irgendeine heroische Geschichte ausdenken.“
„Die
durchgehenden Pferde fandest du nicht so toll?“ Rafe schüttelte den Kopf.
„Dann geh
jetzt bitte, ich armer verwundeter Soldat brauche Ruhe.“
Widerstrebend
nur verließ Rafe seinen Freund, war sich jedoch klar darüber, dass er nur
seinen ersten Tag als neuer Hausherr hinauszuzögern versuchte. Es war November.
Welche Pflichten hatte ein Duke zu dieser Jahreszeit? Soweit er sich
erinnerte, war sein Onkel meistens mit dem Verwalter zu Pferde unterwegs
gewesen, irgendwo auf dem Besitz ... ja, das war es, er würde den Verwalter aufsuchen!
Dieser
Entschluss führte ihn hinauf in seine eigenen Räume, wo er Phineas schon
vorfand, der eben im Ankleidezimmer das Reitzeug bereitlegte.
„Ah, gut,
dann muss ich Ihnen nicht durch diesen riesigen Irrgarten hinterherjagen, Euer
Gnaden. Miss Seavers lässt ausrichten, Sie möchten sich mit dem Umkleiden beeilen.
Ich habe schon Ihren Mantel ausgeklopft und abgebürstet, nur kann ich Ihren
schönen neuen Biberhut nicht finden, aber Sie benötigen natürlich eine
Kopfbedeckung, wenn ich auch nicht weiß, wo Sie hinwollen. Ihre Miss Seavers
sagt, sie glaubt zu wissen, wo er geblieben sein könnte, und dass Sie Ihr
hübsches Gesicht irgendwo vorführen müssen, Sir.“
„Ah, sie
sagt offensichtlich eine ganze Menge!“, entgegnete Rafe irritiert und
fühlte einen unvernünftigen Widerwillen, weiterhin zu tun, was Charlie
vorschrieb. Auch wenn sie im Recht war, verdammt! „Sie ist nicht meine Miss
Seavers. Und vielleicht will ich gar nicht – ach, zum Teufel, hilf mir aus
diesem Jackett!“
„Wenn man
es genau betrachtet, werden die Männer doch immer von Unterröcken regiert, Euer
Gnaden“, sagte Phineas philosophisch, während er Rafe aus dem seine
breiten Schultern hervorragend umspannenden Gehrock befreite. „Das hat mir
schon mein Vater erklärt. König oder Bettler, früher oder später findet sich
jeder Mann unter dem Pantoffel.“
„Danke für
diese Weisheit, aber ich bin nicht unter irgendjemandes Pantoffel. Ich halte
mich nur vorerst an Miss Seavers Vorschläge, weil ihr die Vorgänge im Haus
vertrauter ... und warum erzähle ich dir das überhaupt?“
„Das weiß
ich auch nicht, Sir“, murmelte Phineas, wandte sich jedoch nicht rasch
genug ab, um sein Lächeln zu verbergen.
Nachdenklich
betrachtete Rafe sich wenig später in dem großen Spiegel. Selbst der Reitanzug
war nicht mit seiner alten Uniform zu vergleichen, in der er während der
Feldzüge quasi gelebt hatte – und die oft gelebt hatte, von Ungeziefer. „Sag,
Phineas, wo sind meine Uniformen?“
„Verbrannt,
Mylord, aus Furcht, dass wir noch ein paar der alten Bewohner mitgebracht
hätten. Nur die Galauniform ist eingemottet.“
Jäh
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