Kasey Michaels
würde er ihrem Vater erzählen? Und ihm
war klar, sie würde ihm nicht glauben, wie oft auch er beteuern würde, dass er
ganz bestimmt zu niemandem davon sprechen werde.
Es
erschreckte ihn, sie so niedergedrückt zu sehen. Dass sie sich so sichtlich
verwundbar fühlte, gefiel ihm nicht. Vielleicht sollte er sie einfach wütend
machen.
„Rafe, sag
es. Bitte.“
Langsam
ließ er seine Hand sinken und lächelte träge, während er sich erhob. Immerhin
überlebte ein Soldat nur, wenn er wusste, wann es Zeit zum Angriff und wann ein
eiliger Rückzug angebracht war.
„Weißt du
was, Charlie? Nun, da du mich darauf aufmerksam gemacht hast, glaube ich fast,
ich könnte dich kompromittiert haben. Wahrhaftig, wenn ich bedenke, welchen
Schaden ich deinem unbefleckten Ruf zugefügt habe, und dass ich als Gentleman
dem Schutz des schwachen Geschlechts verpflichtet bin, meine ich, wir sollten
besser heiraten. Kümmerst du dich wohl darum, da Organisation ja eine deiner
hervorragendsten Tugenden ist?“
Nicht
einmal drei Meter weit konnte er flüchten, da flogen schon Charlottes hübsche
Ziegenlederslipper gut eine Armlänge entfernt an seinem Ohr vorbei, prallten
gegen eine Messingbüste des Zeus und fielen zu Boden.
Charlotte
konnte wirklich nicht zielen!
Er bückte
sich, hob die zierliche Fußbekleidung auf und trug sie zu ihr zurück. „So, hast
du nun mit deinem Selbstmitleid abgeschlossen?“, fragte er. „Gestern
taten wir, was nötig war. Und es geschah ohne Zeugen. Nur eins wundert mich –
warum nimmst du an, ich würde deinem Vater davon berichten?“
„Ich ...
weil ...“ Sie nahm die Schuhe und schlüpfte wieder hinein. „Ich weiß es
nicht, ich kann wohl gerade nicht klar denken. Irgendwie steht die ganze Welt
noch immer Kopf, nicht wahr?“
Als er auf
sie niederschaute, spürte er einen schmerzhaften Stich in seinem Herzen. „Ja,
anscheinend. Aber wir sind noch Freunde, Charlie, oder nicht?“
Sie schaute
ihn an, und er sah unvergossene Tränen in ihren Augen glänzen. „Ja, Rafe, wir
sind immer noch Freunde.“
8. Kapitel
harlotte trug das Teetablett für ihre Mutter
aus der Küche über
die Dienstbotentreppe hinauf, um ihrer Zofe den
Weg zu sparen. Während der ersten Tage nach dem Sturm hatte Marie
unerschütterlich an Mrs Seavers Bett ausgeharrt, und inzwischen hatte sie ganz
selbstverständlich Ruths Platz als Zofe und gleichzeitig Hüterin eingenommen,
denn es war zu befürchten, dass die arme Frau sonst in ihrem geistesabwesenden
Zustand immer wieder einmal allein fortging und sich womöglich verirrte.
In
Anbetracht der ziemlich steilen, sich windenden Treppe ging Charlotte sehr
langsam, denn sie konnte kaum sehen, wo sie hintrat, und musste außerdem das
Tablett im Gleichgewicht halten. Das mochte erklären, warum sie die treppab
hastende Person nicht bemerkte, die im nächsten Moment mit Schwung gegen sie
prallte. Das Tablett mit allem Drum und Dran flog im hohen Bogen durch die Luft
und landete mit Geklirr auf der Treppe.
„Herrgott,
Nicky! Was rennst du derart kopflos durch die Gegend!“, rief Charlotte,
der silbernen Teekanne hinterherschauend, die langsam die Stufen
hinuntertrudelte. „Ist dir etwas passiert?“
Nicole
schüttelte ihren dunklen Umhang und zog ein Gesicht. „Nein, außer dass ich
jetzt mit Sahne bekleckert bin. Konntest du nicht besser aufpassen?“
Das
zerschlagene Porzellan zu beklagen, das vermutlich seit Generationen in der
Familie war, gönnte Charlotte sich nur einen kurzen Moment, dann sah sie Nicole
an, und ihr Blick
schoss förmlich Flammen, als sie den Umhang bemerkte.
„So, besser
aufpassen? Wie recht du hast! Ich hätte aufpassen sollen, dass ich dich stets
an deinen Bettpfosten binde, wenn ich dich nicht im
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