Kasey Michaels
sie und für Nicole. War verantwortlich für Ashurst
Hall und jeden verflixten Menschen, der hier lebte. War verantwortlich für die
Arbeiter und Pächter und jedes vom Sturm abgerissene Dach sowie jedes tote
Schaf.
„Ich habe
nichts dagegen, nein“, sagte er hastig, als er merkte, dass alle Blicke
abwartend auf ihm ruhten. Mit einer Geste bot er Lydia seinen Stuhl an. „Ich
nehme das hier wieder mit“, erklärte er, nach der Karaffe greifend, verbesserte sich
jedoch: „Ach, Unsinn, ich komme später noch mal wieder.“
„Willst
kommen und mich fein zudecken, als wäre ich ein kleiner Junge? Rafe? Rafe,
fühlst du dich nicht gut? Du schaust ein bisschen seltsam drein.“
Rafe hatte
plötzlich daran denken müssen, was er gestern empfunden hatte, als ihm bewusst
geworden war, dass Charlotte wahrscheinlich draußen in dem Sturm war und er
sie verlieren könnte. „Es ist nichts“, wehrte er ab, „mir ist nur
eingefallen, dass ich meiner Mutter schreiben muss, sie für die Saison nach
London einladen. Fitz, viel Spaß beim Vorlesen.“
Offensichtlich
verriet ihn sogar seine Miene, wenn er an Charlotte dachte, und er dachte immer
an sie, jeden wachen Moment beherrschte sie neuerdings seine Gedanken.
Er begab
sich zum Arbeitszimmer des Duke, nein, zu seinem Arbeitszimmer, und
sank schwer auf den Stuhl hinter dem großen Schreibtisch nieder, stützte die
Ellenbogen auf die Platte und vergrub seinen Kopf in den Händen.
Wann hatte
er das letzte Mal geschlafen?
Als das
Unwetter losbrach, war er gerade mit Cummings unterwegs gewesen, einen
ausgetrockneten Brunnen zu untersuchen. Während er noch überlegte, was er dazu
äußern sollte, ohne sich als völliger Ignorant zu erweisen, wurde alles
ringsum plötzlich still, und der Verwalter hatte den Kopf gehoben und die Luft
eingesogen wie ein Spürhund auf einer Fährte.
„Da zieht
was Übles heran, Euer Gnaden, und zwar schnell. Sie kehren besser nach Ashurst
Hall zurück.“
„Und
Sie?“, hatte Rafe noch gefragt, aber da verfinsterte sich schon der Himmel
und ein erster Windstoß fegte über das offene Land.
„Mein
Cottage liegt gleich dort drüben, Sir.“ Noch während er sprach, wurde der
Wind stärker, sodass sie beide ihre Hüte festhalten mussten. „Ah, Sir, hier
sind Sie näher an Rose Cottage, möchten Sie vielleicht dort Schutz suchen? Aber
natürlich sind Sie mir genauso willkommen.“
„Danke,
Cummings, aber ich denke, ich nehme Rose Cottage. Ist eine gute Ausrede.“
„Verzeihung,
Sir?“
„Charlotte
zu treffen“, hatte er sagen wollen, schwieg aber lieber.
Und dann
ergoss sich eine Sturzflut auf sie nieder, die eine so moderate Bezeichnung wie
Regen nicht mehr verdiente, und die beiden trennten sich rasch und ritten ihrer
Wege.
Beim Stall
von Rose Cottage angekommen, war Rafe bis auf die Haut nass, er rannte zur
Haustür, hämmerte wild mit dem Klopfer dagegen, doch es dauerte eine geraume
Weile, bis ihm von einem Hausmädchen geöffnet wurde, das nur flüchtig knickste
und rief: „Euer Gnaden! Ist Miss Charlotte bei Ihnen? Wir sorgen uns so, da
sie immer den Waldweg nimmt! Und ihr Papa ist ins Dorf gefahren, nur wir Frauen
sind hier, wir können sie doch nicht zurückholen.“
In Panik
rannte er durch den windgepeitschten Wald in Richtung des Waldpfades. Minuten
später entdeckte er sie endlich, so verletzlich sah sie aus, wie sie sich da
durch den Sturm kämpfte. Und so aufreizend, mit den nass an ihr klebenden
Kleidern, die jede Linie ihres Körpers betonten ...
Nein,
dieses Bild würde er aus seinem Kopf verbannen, nur ein völlig moralloser
Schurke würde eine Frau in einer solchen Notlage betrachten und mehr
wahrnehmen als ihre Bedrängnis und die Notwendigkeit, sie zu retten.
Mit
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