Kasey Michaels
aller
Kraft hatte sie sich' an ihn geklammert und sich zitternd an ihn gedrückt, und
er hatte auf sie niedergeblickt, ihre furchtgeweiteten Augen gesehen, ihr
blasses angespanntes Gesicht und ihre bebenden Lippen, und hatte sie geküsst,
betroffen und voller Angst um sie, und sie hatte seinen Kuss erwidert.
Wie um sich
von der Vorstellung zu distanzieren, warf Rafe sich auf dem Stuhl zurück. Was
zum Teufel war los mit ihm? Er wollte sich einreden, dass seine Reaktion einzig
Erleichterung gewesen war, sie heil und gesund zu finden. Aber er mochte ein
Narr sein, nicht jedoch dumm genug, um die Ausflucht zu glauben.
Und sie war
so tapfer gewesen! Nicht einmal im schlimmsten Augenblick hatte sie gezögert
oder war in Hysterie ausgebrochen, nicht einmal, als sie ihm in das
Gewächshaus gefolgt war und die Leiche der Köchin gesehen hatte.
Erst als
sie alle sicher in den Kellerräumen saßen, mit versorgten Wunden, in Decken
gehüllt und mit ein wenig Brot und Käse zur Stärkung, war sie noch einmal in
Tränen ausgebrochen. Wie lange hatte er sie dort in der ungemütlichen
Dunkelheit in seinen Armen gehalten, das grässliche Heulen des Sturmes in den
Ohren? Drei Stunden, sechs? Oder mehr? Und wie oft hatte er gegen unschickliche
Gedanken angekämpft? Öfter, als er zugeben mochte. Selbst jetzt noch glaubte er
ihren warmen, weichen Körper eng an dem seinen zu spüren.
Abrupt
sprang er auf und schritt zum Fenster. Draußen waren einige Arbeiter damit
beschäftigt, Äste und abgerissene Zweige auf eine Schubkarre zu laden.
Ashurst
Hall selbst hatte sonst keine Sturmschäden zu beklagen, zu dick war das
Mauerwerk, und zu geschützt lag das Gebäude hinter einem Waldstreifen.
Nicht so
Rose Cottage, das an drei Seiten von Ashurst-Land eingefasst wurde. Früher
einmal war es besser vor den Elementen geschützt gewesen, doch eines der
Mittel, Mr Seavers zum Verkauf zu überreden, hatte der alte Duke darin gesehen,
die den Wind brechenden Waldstreifen um den kleine Besitz herum gnadenlos
abholzen zu lassen, sodass das Haus jedes Jahr den schlimmen Winterstürmen
ausgesetzt war.
Als Rafe
sich schließlich aus dem Keller herausgetraut hatte, fand er auf der Westseite
des Hauses sämtliche Fenster zerstört, die Möbel umgestürzt, Vorhänge vom
Sturm zerfetzt. Besonders den Morgensalon hatte es getroffen, den ihr Vater,
wie Rafe später von Charlotte erfuhr, vor noch nicht langer Zeit erst an das
ursprüngliche Gebäude hatte anfügen lassen, als privaten Salon für ihre Mutter
und Zugang zu dem Gewächshaus. Offensichtlich waren diese Anbauten nicht so
stabil gewesen wie das alte Rose Cottage.
Also
wohnten die Seavers nun in Ashurst Hall, bis ihr Heim wieder
instand gesetzt war.
Rafe hob
den Blick zur Zimmerdecke. Wenn er es recht überlegte, lag Charlottes
Schlafraum direkt über ihm. Welche Räume ihren Eltern eingeräumt worden waren,
wusste er nicht, und bei näherer Betrachtung war es ihm eigentlich auch
gleichgültig.
Auch wo
sich Charlottes Zimmer befand, sollte ihn nicht kümmern – tat es aber. Er
wollte sich nicht vorstellen, wie sie dort schlief, badete und sich ankleidete.
Sich entkleidete. Und tat es doch.
„Verflucht,
verflucht, Hölle und Verdammnis“, grollte er vor sich hin und ließ seine
Faust auf die Fensterbank niederkrachen. „Was ist bloß los mit dir, Mann? Es
ist nur Charlie!“
„Ja, ist
es“, kam ihre Stimme von der Tür her, die er hinter sich zu schließen
vergessen hatte. „Soll ich wieder gehen?“
So hastig
wandte er sich um, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. „Charlie!
Ich ... Du ... Teufel auch! Wünschst du etwas? Ist etwas nicht in
Ordnung?“
Sie trat
ins Zimmer und setzte sich, die Hände fest
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