Kasey Michaels
gehen?“
„Ich weiß
es nicht“, sagte Charlotte.“ Papa ist unterwegs, um Stroh für die
Dachreparatur nachzubestellen. Vielleicht hat er sie ja mitgenommen und nichts
gesagt. Marie! Warte! Wann hast du Mama zuletzt gesehen?“
Das
Mädchen, auf dem Weg zur Treppe, blieb stehen und wandte ihr tränennasses
Gesicht Charlotte zu. „Es tut mir ja so leid,
Miss Charlotte. Ich wollte nur für einen Moment die Augen schließen, aber dann
muss ich wohl eingeschlafen sein.“
„Wann war
das?“, wiederholte Charlotte dringend; ihr Herz klopfte wie wild.
„Ruhig“,
mischte Rafe sich ein. „Du machst ihr Angst, merkst du das nicht?“
„Ja, ja,
tut mir leid, Marie. Du kannst nichts dafür. Aber ich muss wissen, wann du sie
zuletzt gesehen hast. Denk nach, Marie, bitte.“
Hilfesuchend
sah das Mädchen zu Rafe. „Ich suche sie schon eine Weile, Euer Gnaden, aber sie
...“
„Huhu, ihr
könnt die Bluthunde zurückpfeifen! Ich hab' sie gefunden!“
Alle
drehten sich zu Nicole um, die den Gang entlang kam, Mrs Seavers an der Hand
mit sich führend. Die ältere Frau wirkte
ruhig und gelassen, und Charlotte wäre beinahe in Tränen
ausgebrochen. Ihr zitterten die Knie vor Erleichterung. In der vergangenen
Woche war ihre Mutter schon einmal
entwischt, und sie hatte den ganzen Park nach ihr abgesucht, bis sie sie, ohne
Umhang, nur im leichten Tageskleid, im Staudengarten entdeckte, wo sie nach
ihren geliebten Blumen suchte. Wenn sie bis in den Wald geraten wäre, hätte es
böse ausgehen können.
„Mama, wo
warst du? Marie hat dich schon gesucht!“
„Guten Tag“, sagte Mrs
Seavers zu Rafe, knickste und lächelte ihn an, den Blick leer wie stets.
„Willkommen bei uns.“ Charlotte spürte Rafes irritierten Blick und zuckte
unwillkürlich zusammen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Nicht dass
sie sich wegen ihre Mutter geschämt hätte, nein, sie schämte sich, weil sie
Rafe nicht von deren Zustand erzählt
hatte. Immerhin lebten sie unter seinem Dach, da hätte er es erfahren sollen.
Aber dann
hätte er Fragen gestellt, Fragen, die sie ihm nicht beantworten wollte.
„Ich danke
Ihnen sehr für Ihre Einladung, Mrs Seavers“, sagte Rafe gewandt und beugte
sich über die ihm gebotene Hand. „Es ist mir ein Vergnügen, Madam.“
„Und auch
Ihnen ein Willkommen, junge Dame“, wandte Mrs Seavers sich an Charlotte.
„Ich muss in der Küche Bescheid sagen, dass wir zwei Personen mehr zum Dinner
haben.“
„Ja,
Mama“, sagte Charlotte, während Marie schnell ihre Herrin unterhakte. „Geh
nur hinauf und ruhe ein Weilchen. Die Köchin wird sich um alles kümmern.“
Während das
Mädchen Mrs Seavers die Treppe hinaufführte, sagte niemand ein Wort. Erst als
sie außer Sicht waren, erklärte Nicole: „Ich fand sie in der Küche, wie sie das
Menü für heute Abend besprach. Die Köchin hatte ihr Platz angeboten und ihr Tee
und Scones gegeben. Charlotte? Sie sagte ,junge Dame' zu dir. Hat sie dich
nicht erkannt? Und die Köchin sprach sie mit Martha an. War das nicht eure
Köchin? Die, die in dem Sturm tödlich verletzt wurde?“
„Später,
Nicky. Danke, das du uns Mrs Seavers gebracht hast“, erklärte Rafe knapp
und nahm Charlotte beim Arm. „Du, Charlie, kommst mit mir, ich glaube, du musst
dich erst einmal setzen.“
„Mir geht
es gut“, wehrte sie ab, ließ sich aber widerspruchslos von ihm in sein
Arbeitszimmer führen, wo er sie in ihren gewohnten Sessel niederdrückte. „Es
geht mir wirklich gut.“
Ohne darauf
einzugehen, schenkte Rafe ihr ein Glas Cognac ein, und als sie es nur dumpf
betrachtete, nahm er ihre Hand und legte ihre Finger um den Stiel. „Trink
langsam, du bist es vermutlich nicht gewohnt.“
Ihre
Glieder waren wie taub, sodass sie alles über sich ergehen ließ und schließlich
sogar
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