Kasey Michaels
sie, da sie
sich endlich durchgerungen hatte, es so schnell wie möglich hinter sich
bringen.
An einem
Tag im Frühling war sie nach Ashurst Hall hinübergeritten, um Emmaline zu
besuchen. Das Wetter war schön, und sie wählte den Weg über den zum Gut
gehörigen Waldpfad, sodass sie nicht in ihr Reitkleid wechselte, sondern ihr
leichtes Gewand anbehielt und nur eine kurze Pelisse umlegte.
Emmaline
hatte gerade einige Kleider aus London geschickt bekommen und bat um ihre
Meinung dazu. Das beschäftigte sie beide längere Zeit, sodass Charlotte
schließlich zum Dinner blieb. Sie achteten nicht auf die Zeit, und so war es
beinahe dunkel, als sie endlich nach Hause aufbrach. Das machte allerdings
nicht viel aus, denn ihr Pferd kannte den Weg, und außerdem war Vollmond.
Das sagte
sie auch dem Groom, der ihr ihre Phaedra brachte und sie begleiten wollte. Sie
sei schneller daheim, als er brauche, um für sich ein Reittier zu satteln.
Das war ein
Fehler, wie sich herausstellte.
Eben hatte
sie das Gatter hinter dem zweiten Feld wieder geschlossen, als ihr Pferd den
Kopf hochwarf und witternd die Luft einsog. Ehe Charlotte noch den rechten
Schluss gezogen hatte, tauchte in rasendem Galopp ein Reiter aus dem Dunkel
auf, schoss über das Gatter und quer über das Feld, Ashurst Hall entgegen.
Trotzdem erkannte sie im Mondlicht das Gesicht. Es war Nicole Daughtry.
„Diesem
Mädchen müsste wahrhaftig ein dicker Felsbrocken ans Bein gebunden werden, um
es daheim zu halten!“, murrte Charlotte vor sich hin, während sie Phaedra
wendete und Nicole folgte, doch sie holte sie erst im Stallhof ein, der nun
völlig verlassen lag. Auch der letzte Groom war wohl in seiner Behausung hinter
den Stallungen verschwunden, vermutlich mit ein paar zusätzlichen Münzen in der
Tasche, denn Nicole musste ihn bestochen haben, nichts zu verraten.
„Du wirst
mich verpetzen, Charlotte, oder?“ Nicole schwang sich anmutig aus dem Sattel –
und Charlotte sah, dass sie Hosen trug. Das Mädchen war im Herrensitz geritten!
„Am
liebsten würde ich dich übers Knie legen!“, schimpfte Charlotte, während
sie Juliet beim Zügel nahm. „Du hättest dir da draußen den Hals brechen können
mit deiner Springerei! Sag mir also nur einen vernünftigen Grund, warum ich es
nicht deinem Onkel sagen sollte!“
Auf der
Stelle brach Nicole in Tränen aus. „Nein, bitte nicht! Bitte! Er wird mich
schlagen!“
Ob dieser
für das Mädchen so typischen melodramatischen Behauptung konnte Charlotte nur
die Augen verdrehen! „Sei nicht albern! Das würde Seine Gnaden nie tun.“
Dann überlegte sie kurz. Eigentlich kannte sie den Mann kaum, sie konnte ihn
nicht einschätzen und in Anbetracht dieser Situation ... Emmaline erzählte nur
wenig über ihren Bruder, der um so vieles älter war als sie selbst und der die
meiste Zeit in seinem Stadtpalais in London zubrachte. Und während all der
Jahre, die sie selbst sich, hinter Rafe herlaufend, auf Ashurst Hall
herumgetrieben hatte, war sie ihm instinktiv aus dem Weg gegangen, wenn er denn
dort gerade residierte.
Wichtiger
noch, Rafe mochte den Duke nicht. Als er noch ein Knabe war, war das Verhältnis
freundlicher gewesen, doch schon drei oder vier Jahre, bevor Rafe zum Militär
ging, hatte er sich seinen Verwandten möglichst fern gehalten, wann immer er
samt den Zwillingen von ihrer flatterhaften Mutter dort abgeladen worden war.
Als sie
Rafe einmal deswegen befragt hatte, meinte er nur, sie sei zu jung, um das zu
verstehen. Erst am Tag vor seiner Abreise nahm er sie beiseite und ermahnte
sie, sich von Ashurst Hall fernzuhalten, wenn seine Cousins daheim waren, was
Gott sei Dank nicht allzu häufig vorkam. Dann hatte er sein Halstuch abgenommen
und es ihr geschenkt,
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