Kasey Michaels
hatte sie auf die Stirn geküsst, gesagt: „Benimm dich,
Charlie“, und das war das Letzte, was sie beinahe sechs Jahre lang von ihm
gesehen und gehört hatte.
Das
Halstuch trug sie immer noch hin und wieder, und sonst hing es am Pfosten ihres
Bettes.
„Charlotte?
Bitte, du wirst es ihm doch nicht sagen?“
Mit einem
heftigen Kopfschütteln kam Charlotte zurück in die Gegenwart. „Gut, ich sage
nichts, aber du musst mir versprechen, dass du das nie wieder machst. Hörst
du?“
Das Mädchen
nickte eifrig. „Ganz bestimmt nicht, ich verspreche es!“
„Also
gut.“ Charlotte glaubte ihr nicht, doch ihr lief die Zeit davon, bald
würden ihre Eltern sich sorgen, wo sie bliebe. „Wie bist du überhaupt ungesehen
aus dem Haus gekommen?“
„Äh ...
durch die Küche. Warum willst du das wissen?“
„Weil du
auf genau dem Weg wieder zurückkehren wirst. Lass dich bloß von niemandem
sehen, nicht in dieser Kleidung!' Jetzt geh, du warst schon zu lange hier, wo
man dich jeden Moment erwischen kann. Ich kümmere mich um Juliet.“
Nicole fiel
Charlotte um den Hals und drückte sie fest. „Du bist doch die beste Freundin!
Danke!“
Mit einem
gemurmelten: „Ich muss verrückt sein, mich so einwickeln zu lassen“, band
Charlotte ihre Stute an einen Pfosten und führte Nicoles Juliet am Zügel in
den Stall. Sie würde rasch diesen albernen Sattel wegschaffen müssen, dann das
Pferd striegeln, es in seine Box bringen und Heu und Wasser ...
„Na, hallo
aber auch! Mir schien doch, ich hätte Stimmen gehört. Bist du zu Besuch hier?
Wie, äh, gelegen das kommt.“
Charlotte
blieb abrupt stehen und sah auf, direkt in die blauen engstehenden Augen
Georges, dem ältesten Sohn des Duke of Ashurst.
„Oh ...
guten ... guten Abend, Mylord“, sagte sie und knickste schnell. „Ich ...
ich suche den Stalljungen; sehen Sie, er soll Nicoles Pferd versorgen. Er
sagte, dass er herkommen werde und ...“ Während sie sprach, schob sie sich
Schritt für Schritt rückwärts von dem Mann fort, der in seinen modischen
Londoner Kleidern sehr groß und kräftig wirkte und sie so
seltsam anschaute.
Doch er
folgte ihr mit jedem Schritt. „Na, na, Charlotte, nicht schwindeln. Der kommt
nicht, das weißt du auch. Die Dienerschaft weiß, wann sie sich rar machen
muss.“
Als
Charlotte bei ihrem Rückzug gegen Juliets Flanke stieß, fühlte sie sich in der
Falle und konnte George nicht weiter ausweichen, der nun dicht vor ihr stand
und mit grober Hand ihr Kinn umfasste.
Er drehte
ihren Kopf hin und her. „Meine Güte, du bist erwachsen geworden, was? Warst
für eine Saison in London, nicht? Bist wohl nicht angekommen? Oder schmachtest
du immer noch nach meinem schuftigen Cousin Rafe? Weißt du, er wird nicht
zurückkommen. Nicht, nachdem unser Vater ihn hinausgeworfen hat. Aber macht
nichts. Ich bin ja hier. Und Harold ist auch da. Und wie man sagt, im Sturm ist
jeder Hafen recht, hmm?“
George dünstete
Brandygeruch aus, und obwohl Charlotte nicht verstand, was er meinte, war ihr
klar, dass sie so schnell wie möglich von hier fort musste. Sie ließ Juliets
Zügel los und wandte sich zur Flucht, doch ihr Gesicht musste ihre Gedanken
gespiegelt haben, denn mit blitzartiger Geschwindigkeit packte er nach ihrem
Arm und hielt sie fest.
„Na, na,
na, Charlotte, du willst doch wohl noch nicht gehen? Du hast Harold noch nicht
begrüßt. Das musst du unbedingt. Er spielt gerade ein nettes Spielchen.
Vielleicht willst du ja mitspielen. Ja, das ist, glaube ich, eine gute Idee,
großartig.“
„Nein, ich
...“
Grob zerrte
er an ihrem Arm und schleppte sie die Stallgasse entlang bis zu der letzten
Box und stieß sie mit dem Gesicht voran zu Boden.
Sofort
versuchte sie, sich wieder aufzurappeln, doch George stemmte seinen großen,
bestiefelten Fuß in ihren Rücken und drückte sie mühelos in die Streu nieder.
Die
Weitere Kostenlose Bücher