Kasey Michaels
glaube
ich. Der Abend verlief nicht ganz nach seinen Erwartungen, wenn ich auch nicht
weiß, was er erwartet hatte.“
„Er hat
traurige Augen“, bemerkte Lydia.
„Das sollte
ich ihm sagen. Er fände bestimmt, es passe gut zu den schwarzen Kleidern und
dem düsteren Blick, den er sich zuzulegen gedenkt.“
„Wie
bitte?“
„Denken Sie
sich nichts dabei.“ Tanner blieb an einer Treppe stehen, die in den
dunklen Garten hinabführte. „Sollen wir?“
Auch andere
Paare spazierten den Balkon entlang, und einige schlenderten unten zwischen den
Beeten umher, doch da Tanner einen von Hecken gesäumten schmalen Pfad zur
Rechten einschlug, war es nach wenigen Schritten, als wären sie ganz allein in
der großen Stadt.
Hier waren
sie, wurde Lydia bewusst, zum allerersten Mal allein, wirklich allein. Ihr Herz
begann wild zu pochen, und sie musste sich zur Ruhe zwingen.
Er gehörte
nicht ihr, er konnte ihr nicht gehören. Er war so unerreichbar wie Fitz, und
ihre Erinnerungen an diesen guten Mann schienen mit jedem Tag stärker zu
verblassen. Wie schrecklich war ihr das. Und wie schrecklich würde es ihr sein,
wenn es ihr mit Tanner genauso ginge.
Langsam
schlenderten sie den Weg entlang, immer noch untergehakt.
„Er fühlte
sich doch nicht unbehaglich?“, fragte sie schließlich, um das Schweigen
zu beenden. Lieber Gott, wurde sie eine zweite Jasmine?
„Justin?
Doch. Er wurde von der Gesellschaft nicht ganz so empfangen, wie er es sich
vorgestellt hatte, zieht man in Betracht, dass eine ganze Anzahl der heute
anwesenden Gentlemen während seiner Jahre im Ausland nichts daran auszusetzen
fand, dort mit ihm freundlichen Umgang zu pflegen. Ihr verändertes Verhalten hier
in London war wohl ein ziemlicher Schlag für ihn. Damals, während unserer
ersten Saison, war niemand populärer als Justin, niemand begehrter.“
„Und nun
ist er ein Ausgestoßener. Zwei meiner Tanzpartner warnten mich vor ihm. Der
Dritte hatte das Bedürfnis, mir detailliert das Verbrechen des Barons zu
schildern. Und sie alle sagten, dass Sie sich schämen sollten, eine so
unwillkommene Kreatur dem ton ganz allgemein aufzuzwingen, und speziell
uns beiden unschuldigen jungen Damen. Ich glaube sogar, sie haben überhaupt nur
mit mir getanzt, damit ich Ihnen diese Botschaft übermittele.“
„Feiglinge!“
Tanner führte sie zu einer schmiedeeisernen Bank am Rande des Weges, und sie
ließen sich darauf nieder und sahen einander an. „Es tut mir leid,
Lydia.“
Sie lächelte
schwach und zwang sich, ihre Stimme munter klingen zu lassen. „Nein, nein, es
muss Ihnen nicht leidtun. Zuerst dachte ich ja, meine plötzliche Popularität
bei den Herren könne mit meiner Robe zu tun haben oder mit Nicoles Abwesenheit.
Es erleichterte mich, zu finden, dass beides nicht der Fall ist. Vermutlich
haben Sie recht und sie benutzten Jasmine und mich, um Ihnen, Tanner, und damit
auch dem Baron, eine Botschaft zukommen zu lassen.“
„Das mag
sein. Nennen Sie mir die Namen. Gehört Lord Molton dazu?“
Mit einem
Kopfschütteln antwortete sie: „So töricht bin ich nicht, Namen zu nennen.
Nicole hätte diese Männer einfach stehen lassen; dass sie damit eine Szene
machte, wäre ihr gleichgültig gewesen. Den Mut habe ich leider nicht, aber ich
sagte deutlich, dass ich nicht Ihr Hüter bin. In dem Augenblick hielt ich es
für ziemlich klug und schlagfertig, was es aber vielleicht nicht war.“
„Ich hätte
Sie aus der Sache heraushalten sollen.“ Tanner fasste ihre Hände. „Hätte
Justin mahnen sollen, sich von Ihnen fernzuhalten.“
Sie bemühte
sich, das elektrisierende Prickeln auszublenden, das seine Berührung in ihr
auslöste. „Es ist schon gut so. Dieser Abend ist sehr lehrreich für mich.
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