Kasey Michaels
wenigsten.“
Neugierig
schaute Charlotte sie an. „Offensichtlich hast du dir über den Baron eine Menge
Gedanken gemacht. Hast du zufällig vor, ihn vor sich selbst zu retten? Es sähe
dir so ähnlich.“
Verdutzt
fragte Lydia: „Willst du sagen, dass ich mich in anderer Leute Angelegenheiten
mische?“
„Guter
Gott, nein, ich meine nur, dass es dir Spaß macht, Leute vor ihren eigenen
Torheiten zu bewahren. Den größten Teil deines Lebens hast du Nicole aus
diversen von ihr selbst verursachten Klemmen geholfen. Deine Schwester ist
jetzt älter und klüger, und außerdem musst nicht mehr du dich um sie
sorgen, denn Lucas findet jede ihrer verrückten Anwandlungen einfach wunderbar.
Findest du nicht, dass du dich nun endlich um dein eigenes Leben kümmern
solltest? Vielleicht sogar über ein paar eigene Verrücktheiten nachdenken
solltest?“
„Ich wüsste
nicht mal, wie man das macht.“
Charlotte
stand auf, ging zu ihr hinüber und küsste sie auf die Wange. „Weißt du, du
musst nur die Schlösser und Schranken öffnen, hinter denen dein wahres Selbst
eingesperrt ist. Immerhin sind wir Frauen bedeutend raffinierter als die
Männer, und vor allem raffiniert genug, dieses Wissen für uns zu behalten. Und
wenn der Mann besonders ehrenhaft ist, braucht er manchmal einen ... äh ...
kleinen Schubs von der Frau, die weiß, was gut für ihn ist. Und für sie
natürlich.“
„Willst du
etwa sagen ...?“
„Ich?“
Charlotte wehrte gespielt empört ab, dann aber lächelte sie schelmisch wie ein
junges Mädchen. „Ich sage gar nichts. Aber denk über meine Worte nach, Lydia.
Geh ein klein wenig aus dir heraus. Vielleicht sollte endlich die echte Lydia
zum Vorschein kommen.“
Nachdem
Charlotte fort war, ging Lydia, die neuen Stiefel fest an die Brust gedrückt,
zum Fenster und schaute hinaus. Ihr war, als sähe sie wieder Lucas Paines
Kutsche davonfahren, mit Nicole, die so begeistert gewinkt hatte, voller
Lebensfreude und bereit für neue Abenteuer.
„Wie ist
es?“, fragte Lydia laut. „Wie ist es, einfach nur zu fühlen? Loszulassen,
sich einfach von den Ereignissen treiben zu lassen, irgendwohin, wo nicht
zählt, was andere denken oder sagen, sondern nur, was man fühlt?“
Nichts
in der Welt fühlt sich schöner an ...
Tanners
Berührung und was sie dabei empfunden hatte, war unbeschreiblich schön gewesen.
Ihre Umgebung war verblasst, nichts existierte mehr in jenem Moment, als sie in
seine Augen schaute und seine Finger sie durch die Seide ihres Strumpfes zu
verbrennen schienen. Ihr war heiß geworden, sie war förmlich dahingeschmolzen,
und sie hatte nur noch eins gewollt: Die Augen schließen und fühlen.
War es das,
was ihr in ihrem so bedachtsam gelebten Leben fehlte? Die Berührung eines
Mannes? Nicht der Traum davon, den sie in ihrer kurzen Zeit mit dem Captain
geträumt hatte. Da hatte sie nur sehnsüchtige Blicke und stumme Seufzer
gekannt. Er war ihre Mädchenliebe gewesen, ihr gemütlicher Hafen, in dem sie
sich sicher und geborgen fühlen durfte.
Bei Tanner
fühlte sie sich jedoch alles andere als sicher. Er brachte sie aus dem
Gleichgewicht, sodass ihr das Blut rascher durch die Adern schoss.
Ein Jahr
fast hatte sie sich in ihren Kokon eingesponnen, sich gescholten, dass sie
ihrem Captain ihre Liebe nicht gestanden hatte, und ihm gleichzeitig die Schuld
an ihrem verheerenden Kummer gegeben. Erneut zu lieben konnte Schmerz, ein
gebrochenes Herz, Verlust bedeuten. Aber es deshalb einfach nicht versuchen?
War das denn ein Leben?
Ihr hübscher
Kokon war plötzlich nicht mehr gemütlich, war nicht mehr Zuflucht, sondern
Gefängnis. Und Tanner war nicht der Captain. Er war nicht ungefährlich. Er
hatte eine Wirkung auf sie, wie sie der Captain nie gehabt hatte.
Und war
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