Kassandra Verschwörung
mein … Gast sein werden, brauche ich weitere Informationen. Andere Informationen diesmal.«
»Ja?«
»Wer ist Ihr Arzt, Christine?«
»Mein Arzt?« Die Hexe nickte. »Doktor Woodcourt.«
»Ist es ein Arzt oder eine Ärztin?«
»Eine Ärztin.«
»Und wo hat sie ihre Praxis?«
»Ebury Road... am Ende der Straße.«
»Und kennt Frau Doktor Woodcourt Sie?
»Ob sie mich kennt?«
»Suchen Sie sie regelmäßig auf? Würde sie Sie erkennen, wenn sie Sie sähe?«
»Ich war vor etwa einem Jahr wegen ein paar Impfungen bei ihr, Reiseimpfungen. Aber wenn ich es mir genau überlege, bin ich von einer Vertretung behandelt worden. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich Doktor Woodcourt das letzte Mal gesehen haben... vielleicht vor zwei Jahren, als ich mir die Pille habe verschreiben lassen.«
»Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Ich glaube nicht, dass sie Sie wiedererkennen würde. Was meinen Sie?«
»Wahrscheinlich nicht. Ich weiß nur nicht, was das...«
»Am Montagmorgen werde ich Sie in Ihrem Namen in Ihrer Dienststelle krankmelden. Sie dürfen sich doch ein paar Tage krankmelden, bevor Sie eine Bescheinigung von Ihrem Arzt brauchen.«
»Bevor ich eine Krankschreibung brauche, ja.« Und dann fiel es Christine Jones wie Schuppen von den Augen. »Sie wollen sich für mich ausgeben? Um eine Krankschreibung zu kriegen?«
»So weit muss es nicht kommen. Drei Tage dürften reichen. Was ist mit Ihren Mitbewohnerinnen?«
»Was soll mit ihnen sein?«
»Sie werden sich Sorgen machen, wenn Sie auf einmal verschwunden sind.«
»Die nicht. Ich glaube nicht, dass sie sich groß Gedanken machen würden. Ich verschwinde alle naselang mit meinem Freund, ohne etwas zu sagen.«
»Aber Sie haben sich doch von Ihrem Freund getrennt.«
»Woher wissen Sie das?«
Die Hexe lächelte. »Und Sie lügen mich an, was Ihre Mitbewohnerinnen angeht. Natürlich werden sie sich Sorgen machen, wenn sie nichts von Ihnen hören.« Sie langte in ihre Tasche und zog eine Karte heraus – eine Ansichtskarte. Auf der Vorderseite waren vier verschiedene Motive abgebildet. Darunter stand: Grüße aus Auchterarder. Die Hexe band Christines rechte Hand los. »Ich möchte, dass Sie ihnen eine Ansichtskarte schicken.« Die Karte, die auf dem Bett gelegen hatte, fiel zu Boden. Bevor sie sich ihres Riesenfehlers bewusst wurde, hatte die Hexe sich halb heruntergebeugt, um die Karte aufzuheben.
Christines freie Hand schoss zum Nachtschrank, packte blitzschnell das Bügeleisen und stieß es in Richtung Hexe. Doch die Hexe war schneller. Sie sprang vom Bett auf und blieb in sicherer Entfernung stehen.
»Raus!«, schrie Christine. »Raus hier!« Dann begann sie aus vollem Hals zu schreien. »Hilfe! Hört mich jemand? Hilfe!«
Es gab keine Zeit zum Überlegen. Die Hexe drehte sich um, verließ das Zimmer und schloss hinter sich die Tür. Christine würde vermutlich einen Moment aufhören zu schreien, um zu horchen, ob sie das Haus verließ. Am unteren Ende der Treppe ging die Hexe über den Flur, öffnete die Haustür, vergewisserte sich, dass niemand auf der Straße war, und knallte die Tür zu. Dann schlich sie auf Zehenspitzen über den Flur zurück zu dem Kasten unter der Treppe neben der Wohnzimmertür. Christine würde das Bügeleisen abgestellt haben, um mit ihrer freien Hand die anderen Fesseln zu lösen. Es waren komplizierte Knoten. Sie würde eine Weile brauchen.
Der Hauptschalter im Sicherungskasten wurde von AN auf AUS gestellt. Die Lichter gingen aus. Der laut vor sich hin brummende Kühlschrank verstummte. Das Display der Uhr neben dem Bett erlosch. Christine verstand, was passiert war, und schrie erneut. Die Hexe stieg die Treppe empor, ihr Blick kalt und hart. Sie öffnete die Tür zu Christines Zimmer. Es dämmerte draußen, war aber noch einigermaßen hell, obwohl die Hexe die Vorhänge zugezogen hatte. Die Straßenlaternen begannen orange zu leuchten. Sie starrten einander an, die Hexe völlig ruhig, Christine beinahe heiser vom Schreien und Weinen. Natürlich wusste Christine, dass das Bügeleisen, das sie wieder in der Hand hielt, das Einzige war, womit sie die Hexe in Schach halten konnte, sich abkühlte und nicht wieder aufheizen würde. Wenn sie es abstellte, könnte sie ihre Fesseln lösen, aber dann …
Sie reagierte, wie die Hexe gehofft hatte: zusehends verzweifelt. Und sie versuchte, das Bügeleisen zu werfen – nicht nach der Hexe, dazu war Christine zu clever, sondern nach dem Fenster. Doch der Stecker blieb in
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