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Kassandra Verschwörung

Titel: Kassandra Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Rankin
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überqueren will. Nichts von alldem ist erforderlich – schließlich will sie Christine Jones nicht imitieren -, aber es ist nützlich und interessant. Die Hexe lernt, sich zu bewegen wie eine Karrierefrau, wie eine Staatsbedienstete auf dem Weg nach oben. Sie denkt auch an den bevorstehenden Abend, daran, was sofort erledigt werden muss und was warten kann. Und ganz kurz denkt sie auch an Khan, daran, wie zufrieden ihre Auftraggeber gewesen waren und wie großzügig. Und einen Gedanken verschwendet sie auch an Dominic Elder und all die anderen Leute, die vermutlich genau in diesem Moment hinter ihr her sind. Sie denkt an alle diese Dinge, doch ihr Gang ist der einer jungen Städterin auf dem Nachhauseweg.
    Auf dem Nachhauseweg nach Stoke Newington. Direkt, ohne Umwege. Arme Christine Jones. Sie ist wieder einmal in ein Buch vertieft, diesmal in ein dickes Taschenbuch. Keine Feierabenddrinks heute. Wahrscheinlich will sie zu Hause sein, bevor ihre Mitbewohnerinnen aufbrechen. Ihnen gute Wünsche mit auf den Weg geben. Genau, lieber in das Chaos eines einige Minuten dauernden Abschieds zurückkommen als in die achtundvierzigstündige Leere. Arme Christine Jones.
    Sie legt auf dem Weg noch einen Zwischenstopp in einem Zeitungsladen ein. Dort sucht sie sich ein paar Zeitschriften aus, beißt sich schuldbewusst auf die Lippe und legt noch einige Schokoriegel dazu. Kummerfraß. Der Zeitschriftenhändler packt alles in eine weiße Papiertüte. Sie ist unhandlich. Christine könnte ihre Aktentasche öffnen und die Zeitschriften und Süßigkeiten hineinstecken, aber sie hat es jetzt eilig. Verfluchter Londoner öffentlicher Nahverkehr. Der Fluch ihres Daseins. Wie üblich kommt sie spät nach Hause. Es ist schon fast sieben. Na bitte, das Auto parkt vor dem Haus. Ein gebräunter junger Mann trägt gerade zwei Koffer heraus.
    »Hallo, Garry«, begrüßt Christine ihn.
    Garry hebt die Koffer hoch und zeigt damit, wie kräftig er ist. »Sieh dir das nur an«, sagt er. »Man könnte glatt denken, dass wir eine zweiwöchige Kreuzfahrt auf der Queen Elizabeth machen. Ich wünschte, ich könnte mit dir hierbleiben, Chris. Dann würden wir es uns schön nett und gemütlich machen, was meinst du?«
    »Lass meine Mitbewohnerin in Ruhe!«, ruft Tessa von der Haustür her, halb im Ernst, halb im Spaß.
    Christines andere Mitbewohnerin erscheint mit weiteren Taschen. Hinter ihr bugsiert ihr Freund einen großen Koffer durch die Tür.
    »Das geht nie und nimmer alles rein!«, ruft Garry.
    »Wie die Schauspielerin zum Bischof sagte«, erwidert sein Freund. Die Frauen lachen, wie beabsichtigt. Was für ein Spaß. Christine lächelt unentwegt. Die Hexe merkt, dass sie unentschlossen ist. Sie drückt die Papiertüte an sich und überlegt, ob sie den vieren die Schokoriegel für die Reise anbieten soll. Die Hexe ist überrascht und zugleich erfreut darüber, dass der Eigennutz die Oberhand gewinnt. Christine behält die Schokoriegel für sich.
    Die Hexe ist jetzt an ihnen vorbei, den Blick nach vorn gerichtet. Sie befindet sich auf der anderen Straßenseite, aber das reicht offenbar nicht, um unbemerkt zu bleiben. Garry pfeift ihr halbherzig hinterher, weshalb ihr beinahe ungewollte Aufmerksamkeit zuteilwird. Aber die anderen scheinen ihr keine Beachtung zu schenken. Die Gepäckstücke werden alle reinpassen, jedoch nur, wenn sie einige der Taschen auf dem Boden zwischen Rückbank und Vordersitzen sowie unter dem Fahrer- und Beifahrersitz verstauen.
    »Wie die Schauspielerin zu dem Bischof...«
    Ein dumpfer Schlag übertönt das Ende des Satzes. Die Hexe ist jetzt um die Ecke gebogen. Sie hält an und tut so, als ob sie etwas in ihrer Tasche suchte. Die Autotüren werden geöffnet, zugeschlagen und wieder geöffnet, Küsse und Umarmungen ausgetauscht.
    »Wir fahren doch nur übers Wochenende weg«, beschwert sich Garry, während Christine und ihre Mitbewohnerinnen sich ausgiebig voneinander verabschieden.
    Alle vier Autotüren werden zugeschlagen. Der Motor startet mit röhrendem Geknatter. Der Fahrer löst die Handbremse, fährt mit quietschenden Reifen los, setzt den linken Blinker, biegt links ab und braust in die der Hexe entgegensetzte Richtung davon.
    Kurz darauf wird die Haustür geschlossen, und Christine Jones ist allein im Haus.
    Die Hexe blieb noch ein paar Minuten an der Ecke stehen. Sie kramte nicht mehr in ihrer Tasche herum, sondern tat so, als wartete sie auf jemanden. Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr – für alle, die

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