Kassandra Verschwörung
Jermyn Street ein. Khan brauchte noch ein paar Hemden.
Reiche Menschen zeichneten sich oft dadurch aus, dass sie sehr umsichtig mit ihrem Geld umgingen. Das traf zumindest für die zu, die auch reich blieben, und Khan hatte unbedingt die Absicht, dass sowohl er als auch seine Bank reich blieben. Er war ein geborener Feilscher, aber nur, wenn es sich lohnte. Es lohnte sich zum Beispiel nicht, nach einem Barzahlungsrabatt zu fragen, wenn man nur eine Flasche Krug bestellte oder einen Klubbeitrag bezahlte. Es würde einen nur als Geizhals dastehen lassen. Aber im Geschäftsleben galt Feilschen seit alters her als eine ehrenwerte Gepflogenheit. Er konnte die Vorbehalte der Engländer dagegen beim besten Willen nicht nachvollziehen. Er liebte die Londoner Märkte, auf denen Standbesitzer ihre Kunden zum Kauf animierten, indem sie noch einen Schwung Bananen in die Kiste packten, die sie bereits in den Händen hielten, und noch einen... und noch einen... bis plötzlich ein unsichtbarer, magischer Punkt erreicht war und etliche Arme mit dem Geld in der Hand in die Höhe schossen. Aber natürlich bekam nur einer den Zuschlag.
Londoner, gebürtige Londoner, Londoner, die der Arbeiterklasse angehörten, waren hervorragende Feilscher. Oft wurde ihnen die Fähigkeit abtrainiert, aber viele behielten die Gewohnheit und ihr Können bei. Man schaue sich nur die City an, die jungen Börsenmakler, die genauso gut aus dem East End stammen konnten wie aus Eton. Mit diesen Menschen Geschäfte zu machen, war ein Vergnügen. Khan überschlug, dass er der Bank oder sich selbst (abhängig davon, wie er die Begleichung der Rechnung hindrehen würde) soeben zweitausenddreihundert Pfund gespart hatte. Er war zufrieden. Aber was bedeuteten schon zweitausenddreihundert Pfund? Bei einigen Weinhändlern den Preis für eine einzige Flasche Petrus. In etlichen Londoner Restaurants den Preis für einen guten Jahrgangswein. Den Preis für dreißig Hemden: gerade mal ausreichend für einen Monat. Natürlich konnte er den Flug aufgrund der Vereinbarung mit dem Mann aus Edinburgh, dass keine Rechnung ausgestellt werden würde, nicht von der Steuer absetzen... aber die britischen Steuergesetze scherten Khan und seine Bank sowieso einen feuchten Kehricht.
»Sieht so aus, als gäbe es keinen Parkplatz!«, rief Henrik vom Fahrersitz nach hinten. »Soll ich Sie absetzen und eine Runde um den Block drehen?«
»In Ordnung. Wahrscheinlich brauche ich höchstens zwanzig Minuten.«
»Alles klar, Sir.«
Das Auto hielt an und blockierte die enge Straße. Hinter ihnen hupte ein Taxi. Khan stieg gemächlich aus und bedachte den Taxifahrer mit einem frostigen Blick. Die Bürgersteige waren noch nass vom Sommerschauer, aber schon im Begriff zu trocknen. Die Sonne schien bereits wieder. Dunst stieg auf. Khan marschierte in das Geschäft. Hier zu kaufen, war eine weitere Kosteneinsparung. Er hatte herausgefunden, dass ihm maßgeschneiderte Hemden mit seiner »normalen Figur« auch nicht besser passten als anständige Hemden von der Stange. In dem Geschäft befanden sich vier Kunden, jeder wurde von einem Angestellten bedient.
»Ich bin sofort bei Ihnen, Sir«, teilte einer der Verkäufer Khan mit, der mit einem Nicken bekundete, dass er einverstanden sei. Er war nicht in Eile, steckte die Hände in seine Hosentaschen und studierte die an den Fächern der Holzregale vermerkten Kragenweiten. Die Hand in seiner linken Hosentasche berührte etwas Kleines, Kaltes: ein Alarmgerät. Wenn er auf den runden roten Knopf drückte, würde Henrik mit Höchstgeschwindigkeit herbeieilen. Das war ebenfalls etwas, das Khan nicht als Luxus empfand.
Sie flogen an der Westküste entlang nach Schottland. Im Innern des Flugzeugs war es eng, aber gemütlich. Die unmittelbare Nähe zu den Mitreisenden hatte etwas Beruhigendes. Henrik setzte sich ein halbes Dutzend Mal um, wenn er nicht gerade Getränke servierte. An Bord gab es eine Kühlbox, in der zwei Flaschen Champagner, etliche Lachsschnittchen sowie kleine Snacktütchen mit Pistazien und Mandeln bereitstanden. Allerdings gab es für den Champagner nur Plastikbecher: ein offensichtlicher Fauxpas. Khan reichte Henrik zwei Becher.
»Fragen Sie den Piloten, ob er auch einen möchte.«
»Jawohl, Sir.«
Da man Cockpit und Kabine nicht durch einen Vorhang getrennt hatte, war der Pilot zu sehen. Das ärgerte Khan, obwohl er kaum den Piloten dafür verantwortlich machen konnte. Henrik kam mit den beiden Bechern zurück. Er
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