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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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oder Provokateur sahn. Den künftigen Feind. Seitdem sie ihn mit einem Sicherheitsnetz umgeben hatten. Ein neues Wort. Dafür gab man das alte, Gastfreund, her. Was sind Wörter. Auf einmal sahn sich die an »Gastfreund« festhielten, auch ich, beargwöhnt. Aber die Palastwache war ein kleiner Haufen, der nur an hohen Festtagen in Prachtuniform den König umgab. Dies würde anders werden, und zwar gründlich, versprach Eumelos. Wer? Eumelos. Der wurde schief angesehen, der den Namen immer noch nicht kannte. Eumelos, Sohn eines niedrigen Schreibers und einer Sklavin aus Kreta. Den jedermann – jedermann in der Umgebung des Palastes – auf einmal »fähig« nannte. Ein fähiger Mann am rechten Platz. Doch hatte diesen Platz der Fähige für sich erfunden. Na und? War es nicht immer so! Aussprüche des Eumelos kursierten unter der Beamtenschaft, die abgeschmackt waren und über die ich mit Bruder Troilos und seiner Briseis sarkastische Bemerkungen tauschte. Nun traf ich junge Männer mit den Insignien der Palastwache auf den Straßen Troias, die sich anders benahmen, als junge Männer sich bei uns zu benehmen pflegten. Anmaßend. Mir verging das Lachen. Ich bin blöd genug, sagte ich Panthoos, zu denken, einige folgen mir. Sie sind blöd genug, dir zu folgen, sagte Panthoos. Mindestens, wenn du zu mir kommst. Panthoos der Grieche war als der Konspiration mit Menelaos dem Griechen verdächtig unter Beobachtung gestellt. Jeder, der sich ihm näherte, geriet ins Netz. Auch ich. Kaum zu glauben: Der Himmel verdunkelte sich. Fatal der leere Raum, der sich um mich gebildet hatte.
    Abends beim Gastmahl konnte man die Gruppierungen mit den Augen unterscheiden, das war neu. Hinter meinem Rücken hatte Troia sich verändert. Hekabe die Mutter war nicht auf der Seite dieses Eumelos. Ich sah, wie ihr Gesicht versteinte, wenn er sich ihr näherte. Anchises, des Aineias vielgeliebter Vater, schien die Gegenpartei anzuführen. Freundschaftlich und offen sprach er mit dem irritierten Menelaos. Priamos schiens allen recht machen zu wollen. Paris aber, mein geliebter Bruder Paris, gehörte schon dem Eumelos. Der schlanke schöne Jüngling, hingegeben an den massigen Mann mit dem Pferdegesicht.
    Über ihn hab ich viel nachdenken müssen. Immer, wenn ich es recht überlege, hat er nach Beachtung geschielt. Sich vordrängeln müssen. Wie sein Gesicht sich verändert hatte, angestrengt war es jetzt, eine Spannung um die Nase herum verzerrte es eigentümlich. Seine blonden Locken zwischen den dunklen Köpfen der anderen Söhne und Töchter der Hekabe. Wie Eumelos das Gewisper um die ungewisse Herkunft des Paris zum Schweigen brachte: Sehr wohl sei dieser Paris aus königlichem Geblüt, nämlich der Sohn unsrer verehrten Königin Hekabe und eines Gottes: Apollon. Des Paris affektierte Kopfbewegung, wenn jemand auf seine göttliche Herkunft anspielte, was uns allen peinlich war, denn im Palast brauchte man kein Wort darüber zu verlieren, daß eine Behauptung wie die göttliche Abkunft eines Menschen als Gleichnis zu verstehen war. Wer wußte denn nicht, daß jene Kinder, die nach der zeremoniellen Entjungferung der Frauen im Tempel zur Welt kamen, alle göttlicher Abkunft waren. Und daß die Palastgarde eine drohende Haltung einnahm, wenn irgendjemand, mochte es selbst Hektor sein, der Königsnachfolger, den Paris weiter mit seinem Namen verspottete: Tasche Tasche. Aber Spott war unser liebstes Gesellschaftsspiel. Sollte man sich also nicht mokieren dürfen über den Plan, die verwitterte Hirtentasche, in welcher der Hirte Paris getragen hatte, neben Bogen und Lyra des Gottes am Apollon-Tempel aufzuhängen? Nein. Die Priesterin Herophile, jene dünnlippige lederwangige Frau, die mich nicht leiden konnte, verhinderte die Gotteslästerung. Aber des Eumelos Truppe setzte durch, daß vor dem Südtor, durch das Paris nach Troia zurückgekommen war, eine ausgestopfte Bärin aufgestellt wurde: zum Zeichen, daß eine Bärin das Königskind Paris säugte, welches seine Eltern aussetzen ließen.
    Auch daß der arme Bruder so viele Mädchen brauchte. Klar: Alle meine Brüder nahmen sich die Mädchen, die ihnen gefielen, wohlwollend kommentierte in glücklichen Zeiten der Palast die Liebesgeschichten der Königssöhne, und die Mädchen, meist aus den unteren Schichten, auch Sklavinnen, fühlten sich weder beleidigt noch besonders erhoben durch das Verlangen meiner Brüder. Hektor zum Beispiel hielt sich zurück, sein mächtiger schwerfälliger Körper

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