Kassandras Fluch
sein Zeichen, Baphomeths Omen!« Als er sah, daß ich keine Reaktion zeigte, wurde er leicht sauer. »Du sagst ja nichts, Sinclair, wieso?«
»Es hat mich nicht überrascht. Ich habe damit gerechnet.«
»Schön.« Er kam näher. In seinen Augen sah ich das Glänzen. »Aber du wirst es nicht verhindern können. Hinter dir steht Jekov. Wenn du dich einmal dumm bewegst, wird er abdrücken, dann zerreißt dich die Kugel. Wir haben die Spitze abgefeilt. Die Kugel ist zu einem Dum-Dum-Geschoß geworden. Du weißt, was das bedeutet?«
»Ja.«
Er deutete es trotzdem an und präsentierte mir seine linke Handfläche.
»Solche Löcher, Sinclair, solche Löcher wird das Geschoß reißen. Niemand wird dich retten, du wirst hier in der Nische verbluten.« Er wechselte das Thema. »Wo steckt eigenlich der gute Golenkow?«
»Noch draußen.«
Er nahm es mir ab. »Schön, er sucht uns dort. Es läuft immer besser.«
Dann verengte er die Augen. »Hast du deinen Chinesen auch wieder mitgebracht?«
»Sicher. Er durchsucht die unterirdischen Anlagen des Doms.«
»Gut, wirklich gut. Bis der zurück ist, haben wir alles gerichtet.« Er hob eine Hand und strich mit dem Zeigefinger über sein Kinn. »Was mich noch interessieren würde ist, wie du die Spur zu mir gefunden hast. Wer verriet mich?«
»Der Fluch der Kassandra, Bulgare. Er hat dich verraten. Du nahmst ihr vor langer Zeit den Stein aus dem Ring und hast ihn gedrittelt. Ich fand die drei Teile und gab sie ihr zurück. Kassandras Ring ist wieder komplett. Und auch ihre Kräfte sind zurückgekehrt. Nicht immer geht Ihre Rechnung auf.«
»Danke, daß du es mir gesagt hast. Jekov und ich werden uns anschließend um sie kümmern.«
Jekov stand noch immer wie ein Fels hinter mir und blies mir seinen Atem in den Nacken. »Behalte ihn nur im Auge«, erklärte der Bulgare.
»Ich habe noch etwas zu tun.« Er drehte sich um und verschwand im Hintergrund derbreiten Nische, wo sich an der Wand ein langer Gegenstand in die Höhe schob, den ich bisher nur als Schatten ausgemacht hatte. Der Bulgare keuchte, als er ihn anhob, sich drehte und in den flackernden Schein der Kerzen stellte.
Es gab kein chrstliches Symbol mehr in der Nische. Wahrscheinlich hatte der Bulgare sie verschwinden lassen.
Und nur ein paar Schritte weiter strömten die Besucher vorbei, trauten sich nicht, in die Nische zu gehen, weil sie besetzt war. Wir mußten uns wie auf einer Insel vorkommen.
Der Bulgare stellte den Gegenstand hin. »Ich habe ihn schon in den frühen Morgenstunden gebracht und mich an den Wachen vorbeigeschlichen«, erklärte er.
»Weißt du, was das ist?«
»Nein.«
Er streichelte über den Gegenstand, der durch eine Decke meinen Blicken verborgen war. »Das ist der Sieg, das ist der Triumph des Bösen. Ich habe sie mir von einem Künstler schnitzen lassen. Sie besteht aus Holz, und sie zeigt ihn.«
»Baphometh, nicht?«
»Ja…!« Fast stöhnend gab er die Antwort und zerrte an der Decke, die sich oben öffnete und zusammenfiel.
Er hatte nicht gelogen. Unter der Decke kam tatsachlich eine Statue des Baphometh zum Vorschein. Diese widerliche Gestalt mit dem grinsenden, faunhaften Gesicht, der breiten Stirn, den langen Hörnern, die gebogen aus der Fläche hervorstachen, den schwarzen Flügeln und den leuchtenden Karfunkelaugen. Sie stand auf Beinen, die aussahen wie lange Tierpfoten, auch kam sie mir leicht geduckt vor, als wollte sie den Betrachter jeden Augenblick anspringen.
»Er«, sagte der Bulgare, »wird die Macht über diesen Dom bekommen, denn Baphometh persönlich hat sie geweiht und ihr den Atem eingehaucht. Hier fange ich an, Sinclair, und du wirst derjenige sein, der die Statue durch diese Kirche zum Altar tragen wird…«
***
Kassandra hatte den Drang gespürt und ihm nicht widerstehen können. Es war ein innerer Trieb gewesen, eine Warnung, ein Zeichen, es zu tun und die Hindernisse zu überwinden.
Dann hatte sie nicht mehr lange überlegt, sich in die erstbeste Maschine gesetzt und war nach Köln gereist.
Jetzt stand sie vor dem Dom. Überwältigt von der Erinnerung ihrer Vision, bekam sie zittrige Knie und schaffte es kaum, sich auf den Beinen zu halten. Sie fand eine Bank, ließ sich darauf nieder und schaute gegen das wuchtige Gemäuer.
Links von ihr flutete der Verkehr vorbei und wurde unterirdisch am Bahnhof vorbeigeleitet.
Der Dom…
Sie schluckte, sprach den Namen mehrmals flüsternd aus und sagte dann: »Nein, er darf nicht in die Klauen des Bösen
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