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Kaste der Unsterblichen

Kaste der Unsterblichen

Titel: Kaste der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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leichtfertig zunichte gemacht.
    Die Jacynth konnte nur vermuten, was in diesem Augenblick in Waylock vorging. Die Messingmaske verbarg sein Gesicht, aber er ballte die Fäuste, als er die Liste las, und seine Finger zitterten, als er das Blatt zusammenfaltete und in die Tasche steckte.
    »Ist Ihre Eitelkeit verletzt?« fragte Die Jacynth.
    Waylock wandte den Kopf, und seine Augen starrten durch die Sehschlitze der Maske. Doch als er sprach, war seine Stimme ganz ruhig. »Ich bin nur ein wenig gekränkt. Machen wir eine kleine Pause im Pamphylia.«
    Sie überquerten die Straße und betraten das gefällig eingerichtete Terrassencafé, in dem Orchideen, rote Muskatblüten und Jasmin wuchsen. Die Atmosphäre unbekümmerter Koketterie hatte sich aufgelöst; jeder war in seine eigenen Gedanken versunken.
    Sie nahmen an der Balustrade Platz, nur eine Armeslänge von den vorbeiströmenden Massen entfernt. Ein Kellner brachte zwei hohe, dünne Fläschchen, die einen prickelnden, öligen Trank beinhalteten. Eine Weile nippten sie schweigend daran.
    Die Jacynth betrachtete heimlich die Messingmaske und versuchte, sich eine Vorstellung von dem scharfen und zynischen Intellekt dahinter zu machen. Unwillkürlich flackerte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf: eine Vision der großen Hohepriester von Tonpengh, geformt von der Erinnerung der Proto-Jacynth, erfüllt von all dem Schrecken ihres ersten Selbst.
    Die Jacynth schauderte. Waylock sah mit einem Ruck auf.
    »Hat Sie die Erfahrung im Tempel der Wahrheit bekümmert?« erkundigte sich Die Jacynth.
    »Ich bin ein wenig verwirrt.« Waylock holte die Liste hervor. »Hören Sie zu.« Er las den Absatz vor, der ihn so erschüttert hatte.
    Sie lauschte ohne offensichtliches Interesse. »Und?«
    Waylock lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Sonderbar eigentlich, daß Ihre Erinnerung so weit zurückreicht … bis in eine Zeit, in der Sie nicht mehr als ein Kind gewesen sein können.«
    »Meine Erinnerung?« platzte es aus Der Jacynth heraus.
    »Sie waren die einzige im Tempel, die meine Nummer kannte. Als ich Sie verließ, habe ich die beschriftete Seite der Zahlenkennung umgedreht.«
    »Ich gebe zu, daß mir Ihr Gesicht bekannt vorkam«, entgegnete Die Jacynth mit rauher Stimme.
    »Dann haben Sie mich hinters Licht geführt«, folgerte Waylock. »Sie können keine Lulk sein, denn vor sieben Jahren wären Sie zu jung gewesen, um Interesse an öffentlichen Skandalen zu finden. Schwarm kommt aus dem gleichen Grund nicht in Frage. Sie müssen also bereits Ihre erste Lebensjahr-Verlängerungsbehandlung hinter sich haben und Keil oder einer höheren Einstufungsphyle angehören. Ein Mädchen von achtzehn oder neunzehn Jahren in Keil ist jedoch äußerst selten – tatsächlich sogar einmalig.«
    Die Jacynth zuckte mit den Achseln. »Sie bauen ein prächtiges Deduktionsgebäude mit Ihren Spekulationen.«
    »Wenn Sie keine Lulk sind … wenn Sie weder Schwarm noch Keil, noch Dritte, noch Rand sind, dann müssen Sie Amarant sein. Dafür spricht auch Ihre erstaunliche Schönheit: Nicht modifizierte Gene bringen nur selten solche Perfektion hervor. Darf ich mich nach ihrem Namen erkundigen?«
    »Ich bin Die Jacynth Martin.«
    Waylock nickte. »Also liege ich mit meinen Schlußfolgerungen richtig. Ihre treffen nur zum Teil zu. Mein Gesicht entspricht tatsächlich dem Des Grayven Warlock. Wir sind Identitäten – ich bin sein Relikt.«
     
2
     
    Wenn ein Amarant in die Immortalitätsgesellschaft aufgenommen worden war und seine letzte Verlängerungsbehandlung erhalten hatte, ging er in die Separation. Fünf Zellen wurden seinem Körper entnommen. Nachdem sie den Idealvorstellungen des Betreffenden entsprechend modifiziert worden waren, wurden sie in eine Lösung aus Nährstoffen, Hormonen und verschiedenen Spezial-Stimulanzien eingegeben. Hier durchliefen sie rasch die Entwicklungsstadien von Embryo, Säugling, Kind und Heranwachsendem und wurden zu fünf idealisierten Simulacra des ursprünglichen Amarant. Sobald sie mit dem Erinnerungspotential des Prototyps ausgestattet waren, stellten sie Identitäten des Originals dar: voll entwickelte und selbständige Surrogate.
    Während der Entwicklung der Surrogate konnte der Amarant noch Unfällen zum Opfer fallen, lebte deshalb in ständiger Angst und legte eine beinah pathologische Vorsicht an den Tag. Nach der Separation aber war er gegenüber allen Risiken des Lebens geschützt: Fand er einen gewaltsamen Tod, so stand ein Duplikat von ihm bereit

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