Kaste der Unsterblichen
gibt es genauso viele Punkte wie Aspekte des menschlichen Bewußtseins.«
»Dann hat es den Anschein«, kommentierte Die Jacynth Basils Bemerkungen mit einem forschenden Blick auf Waylock, »daß Sie sich mit Ihrer Haltung nur noch mehr verstricken. Wenn man sich auf einzelne Punkte konzentriert, so ist das zumindest ein Versuch zur Vereinfachung.«
»Haha! Es mangelt Ihnen an Verständnis für die unmittelbare Wirkung meiner Methode. Unser aller Wesen weist bestimmte bevorzugte Aspekte auf. Ich versuche, diese Aspekte bei meinen Patienten ausfindig zu machen und sie ausschließlich darauf zu fixieren, so daß sie sich ihre optimale Tatkraft und Kreativität erschließen. Inzwischen aber habe ich vor, all diese oberflächlichen Äußerlichkeiten zu umgehen. Mir ist etwas Neues eingefallen: Wenn es klappt, dann werde ich direkt zum Zentrum des Übels vorstoßen! Es wird ein außergewöhnlicher Sprung nach vorn sein, ein enormer Fortschritt, eine wahre Leistung!« Er zögerte verlegen. »Verzeihen Sie meine Begeisterung – hier in Kharnevall ist sie fehl am Platze.«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte Die Jacynth. Sie wandte den Kopf. »Und was machen wir jetzt, Gavin Waylock?«
»Sollen wir gehen?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf, genau wie Waylock vermutet hatte. »Ich bleibe noch etwas hier, Gavin. Aber Sie sind bestimmt müde und möchten sich hinlegen. Gehen Sie ruhig nach Hause. Und schlafen Sie gut.« Ihr Lächeln wuchs in die Breite, wurde fast zu einem Grinsen. »Basil Thinkoup wird mich sicher zu meiner Villa geleiten. Oder wir …« Sie sah auf die Menschenmenge hinab. »Albert! Denis!«
Zwei Männer in prächtigen Kostümen blieben stehen und blickten über die Balustrade. »Die Jacynth! Welche angenehme Überraschung!«
Sie kamen zur Terrasse hinauf. Waylock runzelte die Stirn und ballte die Fäuste.
Die Jacynth stellte sie vor. »Der Albert Pondiferry, Der Denis Lestrange – das ist Basil Thinkoup, und das ist … Gavin Waylock.«
Der Denis Lestrange war von schlanker, zierlicher Statur und trug sein blondes Haar trotz der gegenwärtigen Mode recht kurz. Der Albert Pondiferry war kräftig und dunkelhaarig, hatte glitzernde schwarze Augen und eine wohlakzentuierte Stimme. Sie reagierten mit zurückhaltender Höflichkeit auf die Vorstellung.
Mit einem verschmitzten Blick in Waylocks Richtung sagte Die Jacynth: »Es stimmt wirklich, Albert und Denis – hier in Kharnevall trifft man interessante Leute.«
»Tatsächlich?« Sie musterten Basil und Waylock mit ruhiger und unaufdringlicher Neugier.
»Basil Thinkoup ringt als Psychiater im Palliatorium von Balliasse um Steigung.«
»Dann haben wir sicher eine Anzahl von gemeinsamen Bekannten«, bemerkte Der Denis.
»Und Gavin Waylock … ihr erratet es nie!«
Waylock biß die Zähne zusammen.
»Ich versuche es erst gar nicht«, sagte Der Albert.
»Oh, ich werde probieren«, meinte Der Denis und taxierte Waylock gleichgültig. »Dem tadellosen Körperbau nach … ein professioneller Akrobat.«
»Nein«, sagte Die Jacynth. »Versuchen Sie es noch mal.«
Der Denis warf die Arme hoch. »Sie müssen uns schon mit ein oder zwei Andeutungen auf die Sprünge helfen – welcher Einstufungsphyle gehört er an?«
»Wenn ich Ihnen das erzählte«, gab Die Jacynth mit bedeutsamer Stimme zurück, »kämen Sie dem Geheimnis sofort auf die Spur.«
Waylock saß ganz steif da – diese Frau war unerträglich.
»Kein sehr taktvolles Rätsel«, stellte Der Albert fest. »Ich bezweifle, ob unsere Spekulationen Waylock gefallen.«
»Ich bin sicher, daß das nicht der Fall ist«, sagte Die Jacynth. »Doch das Rätsel ist auch nicht ohne einen gewissen Reiz. Wenn Sie jedoch …«
Ein Wispern raunte durch die Luft, ein so feines und leises Geräusch, daß nur Waylock es vernahm. Die Jacynth zuckte zusammen und griff sich an die Schulter. Aber der Pfeil war so schnell gewesen, so dünn und winzig, daß es nichts zu ertasten gab, und sie führte den Stich auf ein kurzes Nervenzucken zurück.
Basil Thinkoup legte die Hände flach auf den Tisch und sah von einem zum anderen. »Ich muß sagen, ich habe inzwischen einen ziemlichen Appetit bekommen. Steht sonst noch jemandem der Sinn nach einer Portion gedünsteter Krabben?«
Niemand teilte seinen Wunsch, und nach kurzem Zögern erhob er sich. »Ich werde zur Esplanade runtergehen und einen Imbiß zu mir nehmen. Es ist ohnehin Zeit, sich langsam auf den Heimweg zu machen. Ihr glücklichen Amarant, die ihr euch
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