Kaste der Unsterblichen
zu nehmen. Ein Operateur mit weißer Gesichtsmaske stülpte Waylock eine Metallhaube über den Schädel, und die Meßenden von rund hundert Elektroden bohrten sich schmerzlos in seine Kopfhaut.
Das Mädchen rollte einen schwarzen Kasten heran und befestigte ein Paar Kontakte in der Größe von Boxhandschuhen an Waylocks Schläfen. »Wir müssen Sie betäuben, damit wir Ihre Gehirnwellen klar und deutlich empfangen«, erklärte die junge Frau heiter. Sie legte den Finger auf eine Taste. »Keine Angst, es tut nicht weh; Sie werden nur für einige Augenblicke schlafen.«
Sie betätigte die Taste, und sofort wurde es Waylock schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam, hatte er das Gefühl, es sei nicht einmal eine einzige Sekunde verstrichen.
Die junge Frau nahm ihm die Metallhaube ab und lächelte mit unpersönlicher Zuvorkommenheit. »Vielen Dank, mein Herr. Die erste Tür rechts, bitte.«
»Ist das alles?«
»Ja. Sie sind jetzt als Schwarm erfaßt.«
Waylock verließ den Aktuarius, überquerte den Platz und kehrte ins Café Dalamatia zurück. Er nahm an dem Tisch Platz, an dem er schon zuvor gesessen hatte und bestellte sich eine zweite Tasse Tee.
Ein Korb aus ineinander verschlungenen Eisenstäben hing vom Aktuarius herab: der Prangerkäfig. In seinem Innern kauerte nun eine alte Frau, die offenbar während Waylocks Abwesenheit dort hineingesteckt worden war. Vermutlich hatte sie die Regeln des Aktuarius verletzt und büßte nun nach altem Brauch für ihr Vergehen.
Am Nebentisch unterhielten sich zwei Männer darüber. Der eine war fett und hatte glattes Haar und große, runde Augen, der andere war hochgewachsen und schlank. »Ein seltsamer Anblick, nicht wahr?« bemerkte der Fette. »Die alte Krähe muß versucht haben, den Aktuarius zu betrügen!«
»Das geschieht heutzutage öfter«, erwiderte sein Begleiter. »In meiner Jugend wurde der Käfig höchstens einmal im Jahr benutzt.« Er schüttelte den Kopf. »Die Welt ist im Wandel – all diese Schicksalsverrückten und Lebensartzweifler und die anderen neuen Modesekten …«
Der Dicke rollte lüstern mit den Augen. »Die Schicksalsverrückten werden heute nacht hierher kommen.«
»Früher hat es ein solches Schauspiel nicht gegeben.«
Der Schlanke spuckte ärgerlich aus. »Mit dem Mitternachtsgang ließ der Büßer alle Schmach hinter sich. Heute wird es durch die Schicksalsverrückten zu einem abscheulichen Spießrutenlaufen. Sie führen sich auf wie Ungeheuer.«
Der Fette sah mit einem selbstgefälligen und hintergründigen Lächeln auf den Platz hinaus. »Im Vergleich mit einer solchen Sünderin kann niemand ein Ungeheuer sein.« Er nickte in Richtung der im Prangerkäfig gefangenen Frau. »Wer den Aktuarius zu betrügen versucht, will unser Leben stehlen.«
Sein Begleiter wandte sich angewidert ab. »Dir kann man keine Lebensjahre rauben. Du bist ein Lulk, und du wirst nie etwas anderes sein.«
»Du ebenfalls nicht.«
Eine junge, schlanke und gutgebaute Frau lenkte Waylock von der Diskussion ab. Mit entschlossenen und zielbewußten Schritten eilte sie über den Platz. Sie trug einen wehenden grauen Umhang, der am Hals zugeknöpft war, und sie zog einen flatternden Schweif blonder Haare hinter sich her.
Es war Die Jacynth Martin.
Sie kam nahe an der Vorderfront des Cafés vorbei. Waylock wollte ihr schon zuwinken, als sie vorüberschritt, hielt sich aber noch rechtzeitig zurück. Was gab es zwischen ihnen schon zu besprechen? Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. In ihren Augen schimmerte kurz verwirrtes Wiedererkennen, doch ihre Gedanken weilten bei anderen Dingen. Der graue Umhang wehte um ihre Waden, als sie hinter dem einen Ende der Vorderfront des Cafés verschwand.
Waylock entspannte sich langsam wieder. Es war eine sonderbare Erfahrung gewesen. Für diese neue Jacynth war er ein Fremder. Sie bedeutete ihm nicht mehr als jede andere schöne Frau, und für sie war er nur ein Gesicht, das etwas Vertrautes berührte in dem verschwommenen Erinnerungskonglomerat ihrer Vergangenheit.
Waylock verdrängte jeden weiteren Gedanken an sie. Die Gestaltung seiner Zukunft besaß eine unmittelbarere Bedeutung.
Er dachte über Basil Thinkoups Angebot einer Anstellung im Palliatorium von Balliasse nach. Eine Vorstellung, die ihm nicht sonderlich behagte. Dort wäre er Stimuli der unangenehmsten Art ausgesetzt. Besser, er wandte sich einem neueren Tätigkeitsbereich zu oder einem, der so konfus und schlecht geführt war, daß er orthodoxe Arbeiter
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