Kaste der Unsterblichen
überflügeln und aus dem Rennen werfen konnte.
Ein Zeitungsständer erweckte seine Aufmerksamkeit. Wie auch während zurückliegender Epochen beschäftigten sich die Tageszeitungen von Clarges hauptsächlich mit den Kümmernissen des Lebens, mit Lasterhaftigkeit und Not und Elend – und das, so glaubte er, würde seine Phantasie anregen.
Er trat an den Ständer heran und las flüchtig die Titel der einzelnen Blätter. Er lächelte, als er nach dem Clarino griff. Das war so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit! Er kehrte an den Tisch zurück und begann damit, die Nachrichtenberichte aufmerksam durchzulesen.
Trotz des exzellenten technischen Niveaus der Produktions- und Versorgungskapazitäten der Enklave kam es noch immer zu Störungen auf der menschlichen Ebene. So waren die Soziologen zum Beispiel besorgt über eine Welle »selbst herbeigeführter Übergänge«. Waylock las weiter.
Der größte Teil der diesem Schwund anheimfallenden Individuen stammt aus Keil, dicht gefolgt von Dritte, dann Schwarm. Angehörige von Rand und die Lulks sind weniger anfällig für diese sonderbare Lebensentweihung. Amarant sind natürlich immun.
Waylock dachte nach. Eine Möglichkeit, um Möchtegern-Selbstmörder ausfindig zu machen, sie in Gewahrsam zu nehmen und zu bestrafen, würde Steigung einbringen …
Waylock las weiter. Zwei Amarant, Der Blade Duckerman und die Fidelia Busbee, waren bei einem Weinlesefest in der weiter landeinwärts gelegenen Vorstadt Meynard mit Weintrauben beworfen worden. Offenbar hatte die ganze Stadt das Spielchen genossen und die beiden Amarant mit Geschrei und wildem Jagdgeheul durch die Straßen gehetzt. Bei den örtlichen Behörden war man bestürzt, doch man fand keine Erklärung für diesen schändlichen Vorfall – bis auf völlige Trunkenheit der selbsternannten Jagdgemeinschaft. Man bat die beiden Opfer um Verzeihung, und Der Blade und Die Fidelia nahmen die Entschuldigung an.
Die Amarant hatten sich wahrscheinlich zu provokativ und angeberisch aufgeführt, dachte Gavin Waylock. Niemandem war ein Leid geschehen. Er wünschte, er wäre dabeigewesen. Waren durch das Organisieren ähnlicher Veranstaltungen Karrierepunkte zu sammeln? Nein, wohl kaum … Er überflog die anderen Berichte. Enteignung der Slums in Gosport, eine Vorbereitungsmaßnahme für die Schaffung einer neuen Luftstraße mit sechs Flugebenen. Da hatte jemand Punkte gesammelt. Ein Interview mit Unterweiser Talbert Falcone, einem bedeutenden Psychopathologen, Rand. Unterweiser Falcone war
bestürzt über das Ausmaß der sich ständig weiter ausbreitenden Geisteskrankheiten. Zweiundneunzig Prozent der Krankenhauskapazität wird heute für die Behandlung psychischer Leiden benötigt. Jeder Sechste wird irgendwann einmal in ein Palliatorium eingeliefert. Daraus wird ersichtlich, daß wir dringend neue Heilverfahren benötigen. Aber niemand befaßt sich mit dem Studium dieses Problems. So ein unübersichtlicher und komplizierter Tätigkeitsbereich bietet kaum Hoffnung auf Auszeichnung oder ein beständiges Ansammeln von Karrierepunkten. Es fehlt der Anreiz für unsere fähigsten Köpfe.
Waylock las den Abschnitt ein zweites Mal. Es waren fast seine eigenen Worte! Er las weiter:
Die häufigste Form der abnormen geistigen Zustände ist das manisch-katatonische Syndrom. Seine Ursachen sind völlig klar. Intelligente, hart arbeitende und realistisch denkende Männer und Frauen stellen fest, daß sich ihre Lebenslinie unerbittlich dem Terminator nähert. Keine Anstrengung kann daran etwas ändern, auch keine noch so intensiven Bemühungen und Neuorientierungen in Hinblick auf den Tätigkeitsbereich. Das Verhängnis rollt einem Moloch gleich näher, und sie haben keine Kontrolle darüber. Der Betreffende gibt auf. Er gibt mit totaler Konsequenz und völliger Endgültigkeit auf. Er versinkt in einen mehr oder weniger tiefen tranceähnlichen Zustand. In bestimmten Zeitabständen wird er infolge der Aktivitätszwänge eines unbekannten Stimulans zu einem tobenden Irren, der alles zerstört, was ihm unter die Finger kommt, und dann mühsam gebändigt werden muß. Er beruhigt sich erst wieder, wenn der katatonische Aspekt seiner Krankheit zum Tragen kommt.
Dies ist das charakteristische Leiden unserer Zeit. Zu meinem Bedauern muß ich feststellen, daß es sich um so weiter und schneller ausbreitet, je schwieriger der Aufstieg durch die Einstufungsphylen wird. Ist das nicht eine wahre Tragödie? Wir haben die
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