Kaste der Unsterblichen
diese herrliche Idee, und ich mußte dieses Kostüm anziehen, um zu sehen, wie es mir steht.«
»Gedankliche Wankelmütigkeit führt zu keinem Anstieg der Lebenslinie«, stellte Caddigan fest.
»Ach, Steigung – ist mir doch so egal.« Sie schnippte mit den Fingern.
»Du wirst deine Meinung gründlich ändern, wenn ich Keil erreiche und dann in Dritte aufsteige.«
Pladge rollte mit den Augen. »Manchmal bedauere ich es direkt, Keil zu sein. Wer will schon in Amarant aufsteigen?«
»Ich«, sagte Waylock lächelnd. Pladge gefiel ihm, und es amüsierte ihn festzustellen, daß Seth, dem das nicht entging, darüber verärgert war.
»Ich auch«, gab Seth zurück. »Und du ebenfalls, Pladge … wenn du es jetzt nur ehrlich zugeben und mit dem unsinnigen Gerede aufhören würdest.«
»Ich meine es ehrlich, und ich rede durchaus keinen Unsinn. In grauer Vorzeit fürchteten die Menschen den totalen Untergang und damit das Aussterben ihrer …«
»Pladge!« unterbrach Seth sie mit barscher Stimme und warf Waylock einen kurzen Blick zu.
Pladge schwenkte ihre klirrenden Armreife. »Sei doch kein kindischer Tropf. Wir alle müssen sterben – nur die Amarant nicht.«
»Das ist wohl kaum ein angenehmes Gesprächsthema.«
»Ich sehe nicht ein, warum man nicht frei darüber reden sollte. Man müßte diese Dinge ohne jedes Tabu in der Öffentlichkeit diskutieren, das ist meine Meinung.«
»Nehmen Sie keine Rücksicht auf mich«, sagte Waylock. »Sprechen Sie so ungezwungen, wie Sie möchten.«
Pladge nahm auf einem der schlichten, alten Stühle Platz. »Ich habe eine Theorie. Möchtet ihr sie hören?«
»Gern.«
»Pladge …« wandte Caddigan ein, aber Pladge achtete nicht auf ihn.
»Ich bin davon überzeugt, daß in jedem Menschen eine latente Todessehnsucht verborgen ist. In den Palliatorien gäbe es vielleicht weniger Patienten, wenn wir diese Tatsache akzeptierten und nicht länger verdrängten.«
»Unsinn«, sagte Seth. »Ich bin ausgebildeter Psychiater. Diese Sehnsucht, von der du sprichst, hat, wenn überhaupt, nur wenig mit dem manisch-katatonischen Syndrom zu tun. Unsere Patienten sind Opfer von Angst und Melancholie.«
»Mag sein – aber sieh dir doch an, wie sich die Menschen aufführen, wenn sie nach Kharnevall kommen!«
Seth nickte in Richtung Waylock. »Hier haben wir einen Experten in Sachen Kharnevall. Er hat dort sieben Jahre lang gearbeitet.«
Pladge versah Waylock mit einem begeisternden und bewundernden Blick. »Es muß wirklich herrlich sein, inmitten all der Farben und Lichter zu leben und den Menschen zu begegnen, wenn sie keinen Zwängen unterworfen und ausgelassen sind!«
»Es war recht interessant«, erwiderte Waylock.
»Sagen Sie«, brachte Pladge atemlos hervor, »es gibt da ein Gerücht über Kharnevall – vielleicht können Sie es bestätigen.«
»Was für ein Gerücht?«
»Nun, Kharnevall soll eine Stadt der Gesetzlosen sein.«
Waylock zuckte mit den Achseln. »Mehr oder weniger. Jedenfalls lassen sich die Leute dort zu Taten hinreißen, für die sie in Clarges verhaftet würden.«
»Oder derer sie sich hier schämen müßten«, murmelte Seth.
Pladge ignorierte ihn. »Wie weit geht diese Gesetzlosigkeit? Ich meine … nun, nach dem Gerücht, das ich hörte, gibt es dort ein Haus, ein ganz verborgenes und sehr exklusives Haus, in dem man dafür bezahlt, den, äh, das Erlöschen zu sehen! Von jungen Männern und hübschen Mädchen!«
»Pladge«, krächzte Seth. »Was redest du da? Hast du völlig den Verstand verloren?«
»Ich habe sogar gehört«, fuhr Pladge mit einem heiseren Flüstern fort und beugte sich vor, »daß sie dort nicht nur Menschen gegen Entgelt … überführen, sondern daß man mit viel Geld – mit Tausenden und aber Tausenden Florin – selbst eine Person kaufen und sie oder ihn eigenhändig und auf jede beliebige Weise erledigen kann …«
»Pladge!« Seths Hände kneteten die Armlehnen seines Sessels. »Ich halte diese Art der Konversation für absolut widerwärtig!«
»Seth, ich habe dieses Gerücht gehört und möchte nur wissen, was Herr Waylock dazu meint«, gab Pladge kurz angebunden zurück. »Wenn er es bestätigen kann, dann müßte meiner Meinung nach etwas dagegen unternommen werden!«
»Da stimme ich Ihnen zu.« Waylock dachte an Carleon und sein Museum, an Rubel und den Martertempel, an Loriot und die anderen Berber. »Mir ist dieses Gerücht auch schon zu Ohren gekommen«, sagte er, »aber mehr steckt meiner Ansicht nach nicht dahinter
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