Kaste der Unsterblichen
– eben nur Gerede. Zumindest habe ich nie jemanden getroffen, der von eigenen Erlebnissen in Hinsicht auf diese Dinge hätte berichten können. Wissen Sie, die Besucher von Kharnevall spielen mit dem … nun, dem Übergang: Sie werfen Pfeile auf Frösche und bringen Fische mit Stromstößen aus Elektrosonden um. Aber ich glaube kaum, daß sie groß darüber nachdenken, was sie machen – es verschafft ihnen eine unbewußte Befriedigung.«
Seth wandte sich angewidert ab. »Alles Unsinn.«
»Nein, Seth, jetzt bist du es, der hier Unsinn redet. Du bist Wissenschaftler, doch du ignorierst all die Überlegungen und Vorstellungen, die dich zu einer Erkenntnis führen, die zu akzeptieren du dich weigerst.«
Seth zögerte einen Augenblick, dann sagte er in einem gespielt zuvorkommenden Tonfall: »Ich bin sicher, Herr Waylock gewinnt einen völlig falschen Eindruck von dir.«
»Nein, nein«, sagte Waylock. »Ich bin bezaubert – und interessiert.«
»Hast du gehört?« zwitscherte Pladge. »Das wußte ich gleich. Herr Waylock macht den Eindruck eines Mannes, der keine Vorurteile oder vorgefaßte Meinungen hat.«
»Herr Waylock«, bemerkte Seth säuerlich, »ist ein … wie soll ich sagen … parasitärer Egoist. Er kämpft um Steigung. Ob er dabei jemanden in die Quere kommt und wem er auf die Füße tritt – das kümmert ihn nicht im geringsten.«
Waylock lächelte und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Wenigstens ist er kein Heuchler«, stellte Pladge fest. »Ich finde ihn ganz nett.«
»Ein attraktives Äußeres, gute Manieren …«
»Seth«, sagte Pladge, »fürchtest du nicht, du könntest Herrn Waylock beleidigen?«
Seth grinste. »Waylock ist Realist. Er wird sich von der Wahrheit kaum beleidigen lassen.«
Obwohl sein Innerstes immer mehr in Aufruhr geriet, zwang sich Waylock zu einem ungezwungenen Gebaren. »Sie haben zur Hälfte recht und zur Hälfte unrecht«, sagte er. »Ich trage mich mit gewissen Ambitionen …«
Ein melodischer Klang unterbrach ihn. Über der Heizkörperverkleidung erhellte sich der Kommuschirm und zeigte den Mann, der vor der Tür stand. Er trug sowohl die formelle schwarze Uniform der Assassinen als auch den großen, schwarzen Hut.
»Gütiger Himmel!« rief Pladge. »Jetzt holen sie uns ab! Hab’ ich doch gleich gewußt, daß ich mich heute abend besser mit meinen Studien beschäftigt hätte!«
»Kannst du nicht einmal ernst sein?« gab Seth barsch zurück. »Geh hin und stell fest, was er will.«
Pladge öffnete die Tür. »Frau Pladge Caddigan?« fragte der Assassine höflich.
»Ja.«
»Nach dem Stand unserer Akten haben Sie es bisher versäumt, Ihre offizielle Einstufung in Keil bei uns anzumelden. Ich glaube, Sie erhielten einige diesbezügliche Mitteilungen von uns.«
»Oh«, erwiderte Pladge mit einem nervösen Lachen. »Ich denke, ich habe bisher einfach nur keine Zeit dazu gefunden. Aber Sie wissen doch, daß ich Keil bin, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.«
»Warum muß ich Sie dann noch benachrichtigen?«
Die Stimme des Assassinen klang ganz ruhig und unbewegt. »Jede unserer Vorschriften erfüllt den Zweck, gewisse spezifische Schwierigkeiten und Mißverständnisse zu vermeiden, und Sie können uns unsere Diensterfüllung beträchtlich erleichtern, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten.«
»Also schön«, gab Pladge leichthin zurück. »Wenn Sie die Sache persönlich regeln wollen … Haben Sie das Formular bei sich?«
Der Assassine reichte ihr einen Umschlag. Pladge schloß die Tür und warf den Umschlag auf einen Tisch. »Was für ein Aufhebens sie um eine solche Nichtigkeit machen … Nun ja, ich denke, das ist ein Beispiel für unsere Lebensart. Die zwei Seiten der Medaille: Gäbe es keine Assassinen, existierten auch keine Amarant. Und da wir alle Amarant werden wollen, müssen wir den Assassinen helfen.«
»Genau«, sagte Seth.
»Ein Teufelskreis – wir sind wie Nattern hinter uns selbst her. Weshalb das alles nur? Und wohin soll es noch führen?«
Caddigan wandte sich dem neben ihm sitzenden Waylock zu. »Pladge ist zu einer Lebensartzweiflerin geworden, und seitdem höre ich nichts anderes mehr.«
»Eine ›Lebensartzweiflerin‹?«
»Jemand, der allen Aspekten unserer Gesellschaft Skepsis entgegenbringt«, erklärte Pladge. »Mehr steckt nicht dahinter. Wir haben einen Verband gegründet und formulieren gemeinsam unsere Zweifel. Sie müssen einmal eine unserer Zusammenkünfte besuchen.«
»Gern. Wo finden sie statt?«
»Oh, hier und
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