Kaste der Unsterblichen
nicht gerade hellseherische Fähigkeiten erfordert, um zu erraten, was Ihr Problem sein könnte.«
»Sie sind mir einige Schritte voraus, Caddigan«, gab Waylock ruhig zurück.
»Und ich beabsichtige, das auch zu bleiben. Wollen Sie hören, wie ich auf Ihr ›Problem‹ folgere?«
»Gern – folgern Sie.«
»Es betrifft natürlich Basil Thinkoup. Es gibt niemanden sonst, dem gegenüber Sie um meine Verschwiegenheit bitten könnten. Also: Welches Problem beschäftigt Sie, das Sie nicht Basil selbst vortragen können – ein Problem, das Basil betrifft, aber nicht von ihm gelöst werden kann, sondern von jemandem, der mit ihm zusammenarbeitet? Sie sind ein ehrgeiziger Mann und mit ziemlicher Sicherheit rücksichtslos.«
»Unbarmherzigkeit ist heute eine allgemeine Tugend«, sagte Waylock. Caddigan achtete nicht darauf.
»Sie werden sich die Frage stellen: Wie eng soll ich mich an Basil binden? Wird er aufsteigen oder fallen? Sie möchten mit ihm auf der Karriereleiter nach oben klettern, aber Sie haben nicht die Absicht, mit ihm runterzufallen. Sie möchten wissen, wie ich Basils Zukunftsaussichten einschätze. Wenn ich diese Beurteilung vortrage, dann werden Sie zwar mit Interesse zuhören, sich jedoch ein Urteil aufheben, da Sie wissen, daß ich eine Theorie vertrete, die Basils energischem Pragmatismus direkt entgegengesetzt ist. Andererseits aber halten Sie mich für hinreichend objektiv und aufmerksam, um Ihnen eine recht gute Bewertung von Basils beruflichen Aussichten zu ermöglichen. Habe ich recht?«
Waylock schüttelte lächelnd den Kopf.
Die ständige Andeutung von Ironie, die Caddigans Lippen umspielte, verstärkte sich noch. »Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich habe nicht einmal die elementarsten Grundsätze der Gastfreundschaft beachtet – darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«
»Danke, ja.« Waylock lehnte sich zurück. »Caddigan, ganz offenbar mögen Sie mich nicht oder hegen mir gegenüber zumindest ein Vorurteil. Darf ich fragen, warum?«
»›Nicht mögen‹ ist der falsche Ausdruck.« Caddigan sprach mit didaktischer Präzision. »›Vorurteil‹ trifft es besser, ist aber immer noch ungenau. Ich habe den Eindruck, daß Ihrer Arbeit in der Psychiatrie keine aufrichtigen Motive zugrunde liegen. Ich glaube, daß Sie nicht an einer Weiterentwicklung dieser Wissenschaft interessiert sind, sondern daß Sie die Psychiatrie als ein Gebiet betrachten, auf dem man schnell Karrierepunkte sammeln kann.« Und mit betont trockener Stimme fügte er hinzu: »Ich versichere Ihnen, daß das nicht der Fall ist.«
»Wie konnte Basil dann so schnell in Keil aufsteigen?«
»Glück.«
Waylock gab vor, darüber nachzudenken.
Kurz darauf sagte Caddigan: »Ich möchte Sie auf eine Sache hinweisen, von der ich sicher bin, daß Ihnen in dieser Hinsicht jede Kenntnis abgeht.«
»Gewiß.«
»Man kann sich von Basil leicht täuschen lassen. Jetzt strahlt er Frohsinn und Optimismus aus. Aber Sie hätten ihn einmal sehen sollen, bevor ihm der Aufstieg in Keil gelang. Er schwankte an der ganzen Skala von Melancholie und Trübsinn entlang und wäre fast zu einem der Patienten geworden.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß sein Fall so kritisch stand.«
»Eins muß ich Basil zugute halten: Seine Absicht, die Welt zu verbessern, ist ganz ernsthaft.« Caddigan warf Waylock einen durchdringenden Blick zu. »Er hat neun Patienten als geheilt entlassen können – alles in allem kein schlechtes Ergebnis. Aber er hat die naive Vorstellung, daß er, wenn er mit einem kleinen Teil seiner Therapie neun Patienten zu helfen vermochte, mit einer ganzen Menge davon neunhundert heilen könnte. Er gleicht einem Idioten, der einen Pfefferstreuer entdeckt hat: Eine kleine Prise verbessert den Geschmack seiner Mahlzeit, also wird eine ganze Menge davon sie noch köstlicher machen.«
»Dann glauben Sie also nicht, daß er weiter aufsteigt?«
»Unmöglich ist natürlich nichts.«
»Und was ist mit seiner Therapie, über die er so viele Andeutungen macht?«
Caddigan zuckte mit den Achseln. »Der Idiot mit dem Pfefferstreuer.«
Pladge Caddigan kam klirrend ins Zimmer – mit einem Dutzend bronzener Fußringe und ebenso vielen Armreifen. Sie trug einen Sari mit rotem, goldenem, schwarzem und braunem Batikdruck und dazu ein Paar rote Sandalen, die mit grünem Glasflitter besetzt waren.
»Ich dachte«, bemerkte Caddigan trocken, »du studierst deine Tektonik – oder war es Kaleidochromie?«
»Kaleidochromie. Aber dann hatte ich
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