Kaste der Unsterblichen
Vorbild gewählt. Vielleicht haben Sie die Absicht, ihm nachzueifern. Sollte das der Fall sein, so schlage ich Ihnen vor, Ihre Vorgehensweise entweder gründlicher zu planen oder aber nach der Ursache für seine Karriere zu forschen.«
Waylock beherrschte sich. »Ich glaube, Sie mißverstehen die Situation.«
»Vielleicht haben Sie recht!« rief Caddigan mit falscher Herzlichkeit aus. »Ich hatte schon die Befürchtung, Sie und Basil Thinkoup seien die ersten Vertreter eines völlig neuen theoretischen Trends in der Psychiatrie, die man später möglicherweise einmal als Hammer-und-Zangen-Lehre bezeichnet.«
»Ich halte Ihre Scherze für überflüssig«, sagte Waylock.
Basil Thinkoup war ins Zimmer getreten und sah von einem zum anderen. »Setzt Ihnen dieser Schlingel von Caddigan bereits zu?« Er kam näher. »Als ich damals hier im Balliasse-Palliatorium anfing, war seine Gegenwart sozusagen meine einzige gesellschaftliche Diät. Ich glaube, ich bin so rasch in Keil aufgestiegen, um Caddigan zu entkommen.«
Caddigan gab keine Antwort. Basil wandte sich Waylock zu. »Ich hörte, Sie haben Ihr erstes Abenteuer überstanden.«
»Eine Bagatelle«, erwiderte Waylock. »Das nächste Mal bin ich auf der Hut.«
»Das ist die richtige Einstellung!« sagte Basil. »Nur weiter so.«
Seth Caddigan erhob sich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, verabschiede ich mich jetzt. Ich habe heute abend noch zwei Vorlesungen.« Damit verließ er das Zimmer.
Basil schüttelte den Kopf und lächelte nachsichtig. »Armer Seth. Er hat den Weg der Mühsal gewählt, um zu Steigung zu gelangen, und stopft sich mit sinnlosem Ballast voll. Heute abend büffelt er – lassen Sie mich sehen – Die Verhaltensweise von Viren und Chirurgie unter den Bedingungen des absoluten Nullpunkts . Morgen ist er mit Studien in Hinsicht auf soziale und evolutionäre Rekapitulation bei der Entwicklung des Embryos beschäftigt. Am Abend darauf ist es wieder eine andere Thematik.«
»Ein ziemliches Programm«, bemerkte Waylock.
Basil nahm mit einem Seufzer Platz und blies die rosafarbenen Wangen auf. »Tja, die Welt ist groß, und wir können uns nicht alle ähnlich sein.« Er stand wieder auf. »Ihre Schicht ist so gut wie vorüber, gehen Sie also ruhig nach Hause. Morgen wartet eine Menge Arbeit auf uns.«
»In Ordnung«, gab Gavin zurück. »Ich habe selbst noch einige Studien durchzuführen.«
»Jetzt hat Sie richtig der Ehrgeiz gepackt, eh, Gavin?«
»Ich komme bis ganz nach oben«, sagte Waylock. »Auf die eine oder andere Weise.«
Basil schnitt eine Grimasse. »Fassen Sie es nicht so hart an, daß Sie wie die dort enden …« Er deutete mit dem Daumen auf die Krankenstation hinter ihnen.
»Das habe ich nicht vor.«
SIEBEN
1
Waylock trat in seine Wohnung, blieb in der kleinen Diele einen Augenblick stehen und sah mißmutig nach links und rechts. Die Zimmer waren winzig, die Einrichtung war geschmacklos und langweilig. Mit Bedauern rief sich Waylock das weiträumige und luxuriöse Palais Des Grayven Warlock ins Gedächtnis zurück, das in Tempelwolke lag. Sein rechtmäßiges Eigentum – aber wie konnte er es wieder in Besitz nehmen?
Er verspürte einen vagen Appetit, inspizierte die Vorräte im Kühlspeicher und stellte fest, daß ihn nichts davon reizte. Verärgert nahm er die Texte und den Betrachter an sich und verließ sein Appartement wieder.
Er aß in einem lauten und viel zu teuren Restaurant zu Abend, das überwiegend von Lulks besucht wurde. Während der Mahlzeit ließ er in Gedanken noch einmal die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren: Er dachte an Die Jacynth, sah sie so, wie sie sich ihm im Tempel der Wahrheit dargeboten hatte – gertenschlank, geschmeidig wie ein junges Kätzchen, ätherisch schön. Ein warmes Verlangen erwachte in ihm. Angenommen, er meldete sich per Kommu bei ihr – doch was sollte er ihr sagen? Er konnte kaum erwähnen, daß er einer der letzten gewesen war, die ihre Früherinkarnation lebend gesehen hatten. Er hatte keine Ahnung, was für Untersuchungen inzwischen eingeleitet worden waren – obwohl er, Gavin Waylock, wohl kaum befürchten mußte, davon betroffen zu sein. Weder Die Neue Jacynth noch Der Denis noch Der Albert kannten seine Identität. Nein, es war ratsam, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Was sollte er sonst mit sich anfangen? Er dachte an öffentliche Vergnügungsstätten und verwarf diese Idee wieder. Er wollte menschliche Gesellschaft, Bekanntschaften schließen,
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