Kaste der Unsterblichen
schüttelte den Kopf. »Ich bin erst bei 71 angelangt.«
»Dann also für 71.«
»85126.«
»Wie bewerkstelligen Sie das?« fragte Waylock.
Rodenave vollführte eine weit ausholende Geste. »Ich verwende natürlich ein mnemotechnisches System. Ich ordne jeder Ziffer einen Satzbauteil zu. 1 ist ein abgeleitetes Substantiv, 2 ein Substantiv, tierisch, 3 ein Substantiv, pflanzlich, 4 ein Substantiv, mineralisch. 5 ist ein Verb, 6 ein Adjektiv oder Adverb, das Gefühle oder Gedanken bezeichnet, 7 eins, das Farbe kennzeichnet, 8 eins, das Richtung angibt, 9 eins, das Größe beschreibt. Null ist eine Verneinung.
Ich erfinde für jede Zahl einen Schlüsselsatz. Es ist ganz einfach: ›Vorsichtiger Bär, Gras und Fisch frißt.‹ Das bedeutet 62325, Logarithmus von 42 Basis 10.«
»Erstaunlich!«
»Heute abend«, seufzte Rodenave mißmutig, »wäre ich vielleicht bis 74 oder gar 75 gekommen. Wenn mich nicht ausgerechnet Die Anastasia gebeten hätte …« Er unterbrach sich. »Da kommt sie ja.« Er wirkte wie verzaubert.
Die Anastasia kam fast im Dauerlauf auf sie zu, so geschmeidig wie ein junges Kätzchen.
»Guten Abend, Vincent«, sagte sie mit heller, betörender Stimme. Sie warf Waylock einen flüchtigen Blick zu. Rodenave hatte ihn bereits vergessen.
»Ich habe das, nach dem Sie gefragt haben; die Beschaffung war recht riskant.«
»Ausgezeichnet, Vincent!« Die Anastasia legte die Hand auf Rodenaves Arm und beugte sich mit einem Ruck vor. Es war eine Geste der Vertraulichkeit, die Rodenave für einen Augenblick erstarren und blaß werden ließ. »Kommen Sie nach der Vorstellung in meine Garderobe.«
Rodenave stotterte eine Zustimmung. Die Anastasia schenkte ihm ein weiteres kurzes Lächeln, maß Waylock erneut mit einem flüchtig taxierenden Blick und schlüpfte dann fort. Die beiden Männer sahen ihrem anmutigen Dahingleiten nach. »Ein wunderbares Geschöpf«, murmelte Rodenave.
Die Anastasia trat neben Die Jacynth, die sie sofort mit einer ungeduldigen Frage bedrängte. Die Anastasia deutete kurz auf Vincent Rodenave.
Die Jacynth wandte den Kopf und sah Rodenave und den verkleideten Waylock beieinander stehen.
Ihre Augen weiteten sich verwirrt. Sie runzelte die Stirn und drehte sich wieder um. Waylock fragte sich, ob sie seine zweite Identität durchschaut hatte.
Auch Vincent Rodenave war die eigenartige Reaktion aufgefallen. Er versah Waylock mit einem neugierigen Seitenblick. »Sie haben mir nicht Ihren Namen genannt.«
»Ich bin Gavin Waylock«, antwortete Waylock mit brutaler Unverblümtheit.
Rodenaves Augenbrauen zuckten in die Höhe, und sein Unterkiefer klappte herunter. »Sagten Sie … Gavin Waylock?«
»Ja.«
Rodenaves Blick huschte hin und her, fokussierte sich dann wieder. »Da kommt Jacob Nile. Ich denke, ich gehe besser weiter.«
»Was ist mit Nile nicht in Ordnung?«
Rodenave sah ihn kurz an. »Haben Sie noch nichts von den Lebensartzweiflern gehört?«
»Sie sollen Versammlungen in der Offenbarungshalle abhalten.«
Rodenave nickte knapp. »Ich habe keine Lust, mir Niles Fadheiten anzuhören. Obendrein ist er noch ein Lulk!«
Rodenave eilte davon. Waylock warf Der Jacynth einen Blick zu. Sie unterhielt sich noch immer mit den beiden älteren Herren.
Jacob Nile trat an Waylocks Seite und sah Rodenave mit einem spottlustigen Lächeln nach. »Man könnte glauben, der junge Rodenave ginge mir aus dem Weg.«
»Er scheint Ihre Philosophie zu fürchten – wie auch immer sie beschaffen sein mag.«
Jacob Nile setzte zu einer Erwiderung an, doch Waylock entschuldigte sich und folgte Rodenave eiligen Schrittes. Er stand nun vor einer der Wassergestaltungen. Rodenave sah ihn kommen und wandte ihm rasch den Rücken zu.
Waylock legte ihm die Hand auf die Schulter, und Rodenave blickte sich mit verdrießlichem Gesicht um.
»Ich habe mit Ihnen zu reden, Rodenave.«
»Es tut mir leid«, stammelte Rodenave. »Aber im Augenblick …«
»Vielleicht fallen wir weniger auf, wenn wir nach draußen gehen.«
»Ich fühle mich hier drinnen aber ganz wohl«, sagte der junge Mann.
»Dann kommen Sie mit ins Nebenzimmer dort. Es ist durchaus möglich, daß wir die ganze Sache in Ordnung bringen können.« Er umfaßte Rodenaves Arm und dirigierte ihn in einen Alkoven in der Seitenwand der Ausstellungshalle.
Waylock streckte die Hand aus. »Geben Sie es mir.«
»Was?«
»Sie haben etwas bei sich, das für Die Anastasia bestimmt ist und mich betrifft. Ich würde es gern sehen.«
»Sie irren
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