Kastell der Wölfe
und mich stand fest, dass wir den Ort so schnell nicht verlassen würden, und wir hatten auch nicht vergessen, was uns der Schäfer von diesem alten Kastell berichtet hatte.
Zu Gesicht bekommen hatten wir die Überreste nicht. Sie waren im Laufe der langen Jahrhunderte überwuchert worden. Da hatte sich die Natur ausgebreitet. Es gab wohl nichts auf der Welt, was ihr standgehalten hätte. Selbst Beton kam gegen diese Kraft nicht an.
Der Porsche rollte langsam über das nicht eben glatte Pflaster hinweg. Die Häuser und die dazu gehörigen Gärten wirkten auf uns wie eine Filmkulisse.
Es war ein Ort, in dem die Ruhe vorherrschte, und nur manchmal belebte sich diese Kulisse.
Wir wollten zu der Familie May. Den Weg in den Pub hatten wir uns gespart. Irgendwie glaubten wir nicht daran, dass wir den Tierarzt dort finden konnten. Wenn uns jemand helfen konnte, dann die Mays, und wir hofften, dass sich diese Leute einsichtig zeigten.
Wir mussten in eine Seitenstraße hineinfahren. Wer hier wohnte, der besaß einen noch besseren Blick in die freie Natur.
Das Haus der Mays stand am Rand des Ortes. Es gehörte nicht zu den alten Bauten im Dorf. Es verfügte über einen schmucken Vorgarten, und hinter dem Gebäude lag sicherlich noch einer, der als Ausruhzone benutzt werden konnte. Das Haus stand nicht allein. Ähnliche Bauten waren in verschiedenen Abständen zueinander errichtet worden.
Wir konnten vor dem Haus der Mays stoppen, hinter einem älteren Mercedes Kombi. Auf dessen Heckklappe war das Gesicht eines Hundes gemalt, der sehr zufrieden aussah.
Wir stiegen aus.
Die Luft war in der letzten Stunde besser geworden. Ein leichter Wind fuhr über das Land hinweg, als wollte er all die Unbilden vertreiben, sie sich im Laufe der Zeit hier versteckt hatten.
Ich sah, wie mein Freund Bill den Arm hob und schnell um den Porsche herumging. Er trat an meine Seite und meinte, dass wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hätten.
»Dieser Dr. Wilson muss einfach dort im Haus sein« Er wies auf den Kombi.
»Gut. Versuchen wir es.«
Da uns die Wölfe nicht aus dem Kopf gingen, schauten wir auch jetzt in die Runde, aber es gab nichts Gefährliches zu sehen. Alles blieb normal und friedlich.
Ich schellte.
Mein Blick fiel dabei auf eine Haustür, die einen undurchsichtigen Glaseinsatz besaß. Bevor geöffnet wurde, malte sich dahinter ein schwacher Schatten ab. Er entpuppte sich als weibliche Person, die uns aus großen Augen anschaute.
Die Frau mit den braunen Haaren trug eine helle Hose und eine locker fallende Bluse mit einem Blumenmuster. Das Haar hatte sie leicht hochgesteckt, und ihr Blick zeigte ein gewisses Misstrauen. Von zwei fremden Männern Besuch zu bekommen, war sie wohl nicht gewohnt.
»Hallo«, sagte Bill. Er konnte am besten lächeln, »Sie sind Mrs. May?«
»Stimmt. Ich bin Esther May. Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?«
»Es geht um einige Fragen, die wir Ihnen stellen möchten, und auch um Dr. Wilson.«
»Der ist hier.« Noch gab sie den Weg nicht frei. »Kennen Sie ihn?«
»Nein, aber wir müssen ihn sprechen.«
»Ähm... warum? Wer sind Sie überhaupt?«
Jetzt erst kam ihr in den Sinn, die wichtigen Fragen zu stellen, und wir hielten uns auch nicht zurück. Ich gab die Antwort doppelt. Sagte meinen Namen und präsentierte zugleich den Ausweis.
Mrs. Mays Augen weiteten sich. Sie musste schlucken, bevor sie fragte: »Polizei?«
»Ja. Scotland Yard.«
»Aha...« Die Sicherheit war verschwunden. Möglicherweise ahnte sie auch, weshalb wir vor ihr standen, und sie wollte etwas sagen, als wir aus dem Haus eine Stimme hörten.
»Wer ist es denn, Esther? Dein Mann?«
»Nein, zwei Fremde.«
»Moment mal.«
Aus dem Hintergrund des Flurs erschien ein hoch gewachsener Mann mit blonden Haaren, die bereits einen Stich ins Graue bekommen hatten. Er trug eine dunkle Hose, eine weiche braune Lederjacke und ein weißes Hemd. Die Haut war sonnengebräunt.
»Die beiden Herren sind von der Polizei«, erklärte sie mit leiser Stimme.
»Ja, Scotland Yard«, bestätigte ich.
Als ich diese Antwort gegeben hatte, horchte der Mann auf. »Wieso das denn?«, flüsterte er.
»Sie sind Dr. Wilson?«
»Stimmt. Kennen wir uns?«
»Noch nicht, aber das wird sich wohl bald ändern«, sagte ich. »Aber dürfen wir eintreten?«
»Sicher«, sagte Mrs. May.
Sie und der Arzt warfen sich beunruhigte Blicke zu. Das brauchte nichts zu bedeuten. Jeder, der es nicht gewohnt ist, mit der Polizei zu tun zu haben,
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