Kastell der Wölfe
geheuer vor. Gut, er sah vielleicht, dass er verloren hatte, aber deshalb brauchte er sich nicht so zu verhalten.
»Was hast du denn?«, wollte er wissen. »Was ist los? Warum schaust du so komisch?«
»Da ist was.«
»Wo und was?«
»An der Tür«, flüsterte Archie.
»Wieso?«
»Dreh dich um!«
Timmy kannte seinen Freund. Er glaubte nicht, dass er irgendwelchen Mist machte. Und so drehte er sich langsam auf der Stelle, um in die andere Richtung schauen zu können.
Der Junge erschrak. Zuerst dachte er an einen Hund. Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, weil er mit Hunden aufgewachsen war und mit denen gut zurechtkam.
Doch was da auf der Schwelle stand, war kein Hund. Dieses graue, struppige Etwas auf zwei Beinen schien nur beim flüchtigen Hinsehen ein Hund zu sein, tatsächlich aber war es ein anderes Tier.
»Ein Wolf...?«, hauchte er.
»Ja«, flüsterte Archie.
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Doch, Timmy, doch. Ich kenne Wölfe. Ich habe sie mal auf Bildern gesehen.«
»Ich auch. Aber...«
Timmy verstummte, als der Wolf nicht mehr länger auf seinem Platz blieb. Nach einem kurzen Zucken mit den Ohren hatte er sich in Bewegung gesetzt und lief auf Timmy zu.
Er tat ihm nichts. Trotzdem fingen beide Jungen an zu zittern. Sie schauten in das offene Maul, hörten so etwas wie ein Hecheln oder leises Knurren. Bei Timmy sträubten sich die Nackenhaare.
»Beweg dich nicht!«, flüsterte Archie ihm zu. »Du musst ganz ruhig stehen bleiben...«
»Ja, ich weiß schon.«
Ob er es wirklich wusste, stand in den Sternen. Er traute sich nicht, auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen. Er stand da wie vom Blitz getroffen, hätte am liebsten laut um Hilfe geschrien, was er ebenfalls nicht wagte. Und auch nicht konnte, denn er hatte das Gefühl, gelähmt zu sein.
Der Wolf ging schleichend und trotzdem leicht schaukelnd. Das Hecheln nahm an Lautstärke zu, die Zunge in seinem Maul bewegte sich leicht auf und ab. Seine Zähne waren jetzt auch zu sehen, Fänge in einem kräftigen Gebiss. Vor Timmy blieb er stehen.
Archie beobachtete das Tier von seinem erhöhten Platz aus. Auch er wagte nicht, sich zu bewegen. Was immer er auch tat, es könnte verkehrt sein und den Wolf nur reizen. Wenn der ihnen an die Kehlen sprang, war es aus.
Das passierte nicht.
Dafür geschah etwas anderes. Der Wolf ließ sich plötzlich auf seine Hinterläufe nieder. Er hockte vor Timmy und dem Heuballen wie ein braver Hund, der von seinem Herrchen gerufen worden war. Dieses Verhalten begriffen die Jungen nicht.
»Was will der denn?«, flüsterte Archie.
»Keine Ahnung.«
»Der sieht aus wie ein Wächter.«
Timmy nickte.
Beide Jungen wurden abgelenkt, weil es an der offenen Tür wieder eine Bewegung gab. Beim ersten Hinschauen entdeckten sie nichts, was sie beunruhigt hätte. Wenige Sekunden später hätten sie schreien können, was sie aber nicht taten, denn sie waren einfach zu entsetzt von dem, was sie zu sehen bekamen.
Der eine Wolf hatte Besuch bekommen. Es stand kein Mensch dort, dem er vielleicht gehorcht hätte. Nein, was die Jungen an der Tür sahen, waren drei weitere Tiere.
Auch Wölfe!
Sie standen dort und bewegten sich nicht. Nur waren sie bereits über die Schwelle geschritten und starrten aus ihren kalten Augen in die Scheune.
Der erste Wolf bewegte sich nicht. Er reagierte auf seine Artgenossen gar nicht. Auch sie blieben nicht länger stehen. Wie auf einen nur für sie hörbaren Befehl setzten sie sich in Bewegung und näherten sich mit fast lautlosen Schritten ihrem Ziel.
Timmy und Archie konnten nichts tun. Beide stöhnten nur auf. Archie sprach flüsternd davon, dass er nach Hause wollte, aber er traute sich nicht, einen Schritt zur Seite zu treten und diesen Vorsatz auch nur anzudeuten.
Innerhalb kürzester Zeit hatten auch die drei anderen Wölfe ihr Ziel erreicht.
Sie ließen sich nieder.
Archie spürte den Strom der Erleichterung, der durch seinen Körper flutete. Aus seinem offenen Mund drang ein Atemstoß. Erst jetzt bemerkte er, dass er die Luft die ganze Zeit über angehalten hatte.
Die Tiere taten ihnen nichts. Sie hockten vor ihnen und schienen auf etwas zu warten. Nur das leise Atmen des Jungen war zu hören und das Hecheln der Tiere. Die vier Wölfe hatten sich versammelt, und sie hatten die Köpfe in den Nacken gelegt, um eine bestimmte Person im Blick zu behalten.
Es war Archie auf seinem Heuballen.
Er konnte den Blicken nicht ausweichen. Er zitterte innerlich vor Angst, wobei er
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