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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Oesterbrogade hielt ein Taxi. Ein Mann im Lodenanzug kletterte heraus, trat, ein wenig schwankend, an die Haustür und las das Schild, das dort angebracht war.
    »Hurra«, sagte er. »Pension Curtius! Ein Glück, daß der Junge nicht vergessen hat, wo er wohnt.« Er ging zum Auto zurück, zerrte ein unbewegliches Lebewesen vom Sitz und hob es auf seine Schulter.
    Der Chauffeur wollte helfen.
    »Nicht nötig«, meinte der Tourist. »Ich habe schon schwerere Ochsen geschleppt. Alles Übungssache!« An der Haustür drehte er sich um und rief: »Warten Sie auf mich, Herr Direktor!« Dann trat er ins Haus und stapfte ächzend die Treppe hoch.
    Die Pension Curtius lag im ersten Stock. Der Tourist klingelte.
    Es rührte sich nichts.
    Er klingelte Alarm.
    Endlich schlurften Schritte über den Korridor. Jemand starrte lange durchs Guckloch.
    »Nun machen Sie schon auf!« brummte der Mann.
    Es wurde mit Schlüsseln manipuliert. Die Tür öffnete sich. Ein vornehmer alter Herr, der einen weißen Vollbart und eine dunkle Brille trug, kam zum Vorschein und fragte: »Sie wünschen?«
    »Ich möchte einen gewissen Herrn Storm abgeben.«
    »Leider wohne ich erst seit gestern hier«, sagte der alte Herr sanft.
    »Und ich bin ganz allein in der Wohnung. Was fehlt denn dem Herrn auf Ihrer Schulter? Ist er tot?«
    »Nein. Besoffen.«
    »So, so.«
    »Soll ich Herrn Storm in den Briefkasten stecken?« erkundigte sich der Tourist. »Oder wissen Sie einen anderen Ausweg?«
    Der alte Herr trat in den Korridor zurück. »Sie könnten ihn vielleicht im Speisezimmer aufs Sofa legen.« Er ging voraus.
    Ganz hinten im Flur schlug eine Tür zu.
    »Es zieht«, erklärte der alte Herr. »Ich habe mein Zimmer offengelassen.« Er öffnete eine Tür und machte Licht. Sie befanden sich im Speisezimmer. Der riesige Mann im grünen Lodenanzug legte seine Last behutsam aufs Sofa und breitete eine Kamelhaardecke darüber. Dann zog er sein Jackett glatt, blickte dem bleichen Storm bekümmert ins Gesicht und meinte: »Hoffentlich ist er morgen pünktlich am Bahnhof.«
    »Will er denn verreisen?«
    »Jawohl. Wir fahren gemeinsam nach Berlin.«
    »Ich werde dem Wirt Bescheid sagen.« Der feine alte Herr lächelte milde. »Er wird Herrn Storm rechtzeitig wecken.«
    »Damit tun Sie mir einen großen Gefallen«, erwiderte der Tourist.
    »Es ist nämlich von größter Wichtigkeit.«
    »Darf ich wissen…«
    »Nein«, sagte der Mann. »Herr Storm weiß es auch nicht.« Er ging einigermaßen schaukelnd durchs Zimmer und drehte sich um.
    »Das weiß nicht mal ich selber ganz genau!« Er lachte, wirbelte den Stock durch die Luft und rief fidel: »Es lebe die Kunst!«
    Draußen im Korridor polterte er gegen den Garderobenständer.
    Dann schlug die Tür.
    Kaum war er fort, belebte sich das Speisezimmer. Mindestens ein Dutzend Menschen umstand das Sofa, auf dem Herr Storm schlummerte. Eine Pension, in der nur ein einzelner alter Herr anwesend ist, dürfte selten so bewohnt gewesen sein!
    Der alte Herr hatte die dunkle Brille und einen großen Teil seiner Sanftmut abgelegt. »Was ist das für eine Schweinerei?« fragte er aufgebracht. Er schielte vor Wut. »Wer kann mir das erklären?«
    »Ich!« sagte jemand. Es war Herr Philipp Achtel, der Rotweinspezialist.
    »Also? Wird’s bald?«
    »Storm hatte sich doch mit dem Mann angefreundet, der im d’Angleterre neben Steinhövels Sekretärin saß. Und vor der Amalienborg beschloß er, ihn zufällig wiederzutreffen und unter Aquavit zu setzen. Um Näheres zu erfahren.«
    »Und?«
    Herr Achtel grinste. »Und diesen Plan scheint er durchgeführt zu haben.«
    »Und wer war der Bernhardiner, der uns Storm hergeschleppt hat?«
    Achtel sagte: »Das war ja eben jener Külz, von dem wir noch immer nicht wissen, ob er wirklich so dumm ist, wie er tut, oder ob er sich verstellt.«
    »Saufen kann er jedenfalls«, behauptete jemand und lachte.
    Ein anderer Pensionär sagte: »Ich finde das großartig! Storm will den Mann eintunken, um ihn auszuhorchen, und statt dessen bringt der ihn über der Schulter zu uns ins Haus. Wie ein Postbote ein Nachnahmepaket!«
    »Ironie des Schicksals«, sagte Achtel salbungsvoll.
    »Ruhe!« befahl der alte feine Herr und trat dicht ans Sofa. »Eines kann ich euch schon jetzt verraten. Wenn sich herausstellen sollte, daß Storm Blödsinn gemacht hat, kann er etwas erleben, was er nicht mehr erleben wird!«
    Storm wälzte sich auf die andre Seite und sagte plötzlich ganz laut: »Prost, Külzchen!«

5.

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