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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Glück gehabt! -Er deutete mit der Hand zum Fenster hinaus. »Es fiel mir schon auf der Herfahrt auf«, meinte er. »Das dänische Vieh ist erstklassig. So etwas habe ich noch nicht gesehen!«
    Eine Herde brauner Rinder schien zu spüren, daß von ihnen die Rede war. Die Tiere blickten aufmerksam herüber, und ein Kälbchen lief ein paar Schritte neben dem Zuge her.
    »Sie interessieren sich für Viehzucht?« fragte der Herr, dem die rote Nase gehörte.
    »Versteht sich«, sagte Külz. »Ich bin Fleischermeister. Seit drei
    ßig Jahren!«
    »Dann allerdings«, meinte der Herr zuvorkommend.
    »Im Augenblick gefällt mir mein Beruf freilich nicht besonders«, fuhr Külz fort. »Es geht einem eines Tages eben doch auf die Nerven, dauernd von Ochsen umgeben zu sein!« Er lachte behäbig.
    Die Mitreisenden lächelten süßsauer.
    »Das soll hoffentlich keine Anzüglichkeit sein?« fragte Herr Storm bescheiden.
    Als Fleischermeister Külz die Frage endlich begriffen hatte, bemächtigte sich seiner eine gelinde Verzweiflung. »Wie können Sie so etwas von mir glauben?« rief er außer sich. »Ich habe doch nicht Sie gemeint, meine Herren! Ich sprach von richtigen Ochsen! Nicht von Ihnen! Wenn Sie wüßten, wie peinlich mir dieses Mißverständnis ist! Ich würde mir so etwas nie erlauben.« Er war außer Rand und Band.
    »Es war ja nur ein Scherz von mir«, erklärte Herr Storm.
    »Wirklich?« fragte Külz erleichtert.
    Die anderen nickten.
    »Gott sei Dank!« meinte Külz. »Mir fällt ein Stein vom Herzen.
    So etwas würde ich wirklich nie laut sagen!«
    Der Herr, der Rudi hieß, hatte sich ins Polster zurückgelehnt. Er lag mit geschlossenen Augen und atmete friedlich.
    Irene Trübner betrachtete sein Gesicht. Sie betrachtete es sehr nachdenklich und dachte bei sich: Jedes Wort, das er bis jetzt zu mir gesagt hat, war vermutlich eine Lüge. Warum folgt er mir seit gestern? Und wenn er’s schon tut, warum belügt er mich? Dabei hat er ein Gesicht wie der Erzengel Michael, dieser Schuft! Mit dem gepriesenen Zusammenhang zwischen Physiognomie und Charakter ist es Essig!
    Sie wandte sich brüsk zum Fenster und starrte einige Minuten hinaus. Dann aber zog es ihr wieder den Kopf herum.
    Diese ausdrucksvollen Hände! dachte sie selbstvergessen. Und er ist doch eine Kanaille! Nun, er soll sich an mir die Zähne ausbeißen, der Rudi! Sie korrigierte ihre Gedanken: Der Herr Rudi! – Diese Schlafmütze, ha!
    In dem letzten Punkt irrte sie sich. Der Herr Rudi schlief gar nicht. Es sah nur so aus. Hinter den tiefgesenkten Wimpern betrachtete er das junge Mädchen ununterbrochen. Er war empört. Ausgerechnet diese Irene Trübner, dachte er, ausgerechnet sie muß so ein hübscher Kerl sein! Warum ist sie keine Schreckschraube? Seit Jahren wünscht man sich’s, so eine Person zu treffen. Und wenn sie einem endlich in die Arme läuft, kommt sie ungelegen. Der Teufel hole den jüngeren Holbein und sämtliche Frauen Heinrichs VIII. die geköpften und die ungeköpften! Ach, ist das Leben kompliziert!
    Sie beugte sich weit vor und sah ihn sonderbar an. Ihm war, als würden ihre Augen immer größer und nachdenklicher. Was gab es an ihm schon zu sehen? Plötzlich schlug sie die Augen nieder und wurde rot wie ein Schulmädel.
    Darüber verlor er die Selbstbeherrschung und erwachte. »Ist die Stunde um?« fragte er.
    Sie fuhr zusammen und strich sich das Haar glatt. »Welche Stunde?«
    »Die geplante Gesprächspause«, sagte er. »Ich war das meiner Verwandtschaft schuldig.«
    »Ach so.« Sie blickte auf die Uhr und meinte: »Sie haben noch Zeit. Gute Nacht!«
    »Habe ich denn geschlafen?«
    »Hoffentlich«, sagte sie.
    »Wurde geschnarcht?«
    »Nein.«
    »So etwas von Vergeßlichkeit!«
    In diesem Augenblick passierte ein Herr den Gang. Ein Herr, der einen weißen Bart und eine dunkle Brille trug. Er blickte ins Abteil und schritt langsam weiter.
    Fräulein Trübner fragte: »Kennen Sie diesen Herrn?«
    »Nein«, erwiderte Herr Struve. »Aber ich habe das dumpfe Gefühl, als ob ich seine werte Bekanntschaft sehr bald machen würde.«
    Er sollte recht behalten.
    Als er auf der Fähre zwischen den Inseln Seeland und Laaland das Abteil verließ, um sich die Füße zu vertreten, traf er den Herrn wieder. Dieser blieb gerade vor einem der Passagiere stehen und bat um Feuer. Jemandem, der mißtrauisch war, mußte auffallen, daß der Mann, der seine Zigarette hinhielt, dem weißen Vollbart etwas zuflüsterte.
    Bemerkungen zwischen Fremden pflegen

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