Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
Vom Netzwerk:
nicht geflüstert zu werden. Auch zuviel Vorsicht ist Leichtsinn.
    Der alte Herr schritt weiter.
    Rudi Struve pilgerte hinterdrein.
    Der alte Herr musterte die Abteilfenster.
    Struve folgte diesem Blick und bemerkte hierbei einen Mann, der aus einem Coupé dritter Klasse herausschaute und, als der alte Herr vorüberkam, ein Auge zukniff.
    Und dieser Mann hatte unterhalb des Auges, das er zukniff, eine auffällig rote Nase.
    Struve kam die Nase bekannt vor. Er trat an die Reling und betrachtete fünf Minuten lang die Ostsee, die Silbermöwen und die Bojen, welche die Trajektrinne markieren… Dann drehte er sich um und beobachtete das Coupé dritter Klasse, das es ihm angetan hatte.
    Neben dem Mann mit der roten Nase entdeckte er den kleinen Herrn mit den hochgerutschten Ohren. Und den dritten auch, den er vor der Amalienborg gesehen hatte.
    Und ihnen gegenüber, zwischen lauter Galgengesichtern, hockte der gutmütige, riesenhafte Lodentourist, der mit Irene Trübner im d’Angleterre zusammengesessen hatte!
    Diese Gruppierung begriff Rudi Struve nicht. Was hatte der athletische Biedermann zwischen so vielen Gaunern zu suchen? Oder sollte er gar kein Biedermann sein?
    Struve trat schleunigst den Rückzug an. Er eilte im Dauerlauf zu seinem Coupé. Hoffentlich war in seiner Abwesenheit keine Überraschung eingetreten! Er sprang die Wagenstiege hoch und eilte durch den Gang. Kurz vor dem Abteil bremste er und zwang sich eine gemütliche Gehweise auf.
    Fräulein Trübner saß noch am alten Fleck und sinnierte.
    Er setzte sich in seine Ecke.
    Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und hob plötzlich den Blick über seinen Kopf hinweg.
    Er folgte ihren Augen und betrachtete das Gepäcknetz. Nein, der Koffer war noch da.
    Sie lächelte und fragte: »Spielen Sie mit sich selber Saalpost?«
    Er begriff nicht, was sie wollte.
    »Es handelt sich um Ihren Hut«, sagte sie.
    Er nahm ihn ab. In seinem Hutband steckte ein Briefumschlag.
    »Komisch«, meinte er, nahm den Brief und öffnete ihn.
    Auf dem Briefbogen stand, in großen Blocklettern geschrieben: WER SICH IN GEFAHR BEGIBT, KOMMT DARIN UM!
    Er faltete den Bogen zusammen, steckte ihn in die Jackentasche und runzelte die Augenbrauen.
    »Etwas Unangenehmes?« fragte sie.
    »Ach wo«, sagte er und war bemüht, harmlos zu lächeln. »Ein Scherz von einem alten Bekannten!«

6. KAPITEL
    OH, DIESE ZOLLBEAMTEN!
    Gjedser war längst passiert.
    Die Zoll-und Paßkontrolle war schon vorm Betreten des Trajekts erledigt worden. Der Dampfer und die Eisenbahnwagen drunten im Schiffsbauch schwammen in der Ostsee, und die dänische Küste wurde blaß.
    Fleischermeister Külz stand auf und griff nach seinem Koffer.
    »Wo wollen Sie denn hin?« fragte Storm.
    »In den Speisesaal. Ich habe Hunger. Kommen Sie mit, Herr Storm? Ich spendiere eine Runde Aquavit!« Külz lachte väterlich.
    »Sie müssen sich noch einen Augenblick gedulden, meine Herren«, sagte einer der Fahrgäste. »Der Schiffszoll war noch nicht da.«
    »Nanu!« rief Storm und tat sehr erstaunt.
    »Aber wir haben doch die Zollkontrolle schon hinter uns!« meinte Külz.
    »Auf dem Trajekt wird noch einmal kontrolliert«, erklärte der gut informierte Fahrgast.
    »Das kapier ich nicht«, sagte Külz. »Auf der Herfahrt wurde das nicht gemacht.«
    »Sind Sie auf dem deutschen Trajekt gekommen?« fragte ein andrer Mitreisender.
    »Jawohl, auf dem deutschen!«
    »Da haben Sie’s«, sagte der gut Informierte. »Und jetzt fahren wir auf dem dänischen. Da ist man gründlicher.«
    »Diese verdammten Bürokraten!« knurrte Philipp Achtel.
    »Doppelte Buchführung«, meinte ein andrer Fahrgast ironisch.
    »Also schön«, sagte Külz und setzte sich resigniert auf die grünen Hosen. »Abwarten und Tee trinken.«
    Herr Achtel hob seinen Koffer herunter, stellte ihn auf die Sitzbank und öffnete ihn. »Hoffentlich geht’s rasch. Ich habe Durst.«
    Herr Karsten blickte zum Fenster hinaus und sagte nach einer Weile: »Dort kommt jemand in Uniform. Das scheint der Betreffende zu sein.«
    Die Coupétür öffnete sich. Ein Mann stieg ein. Er trug eine blaue Schiffermütze mit Goldborten und einen weiten Radmantel. Er salutierte und gab längere Erklärungen in einer fremden Sprache ab.
    Philipp Achtel antwortete ihm, schüttelte den Kopf und zeigte einladend auf seinen Koffer.
    Der Zollbeamte wühlte darin herum, machte ein ziemlich böses Gesicht und salutierte wieder. Nun öffneten die anderen Fahrgäste ihre Koffer und Taschen. Der Uniformierte

Weitere Kostenlose Bücher