Kastner, Erich
Zollkontrolle«, sagte Külz. »Auf den deutschen Dampfern gibt’s das nicht. Nur auf den dänischen. Na ja, das macht die Bürokratie. Und die doppelte Buchführung.« Er lachte gut gelaunt und verlegte sich aufs Essen.
»Eine zweite Zollkontrolle?« fragte Struve. »Wann denn?«
Külz kaute. »Vor zehn Minuten. Ein Mensch mit einem abscheulichen Gesicht war’s. Er hatte eine Pelerine um. War er denn nicht auch bei Ihnen?«
»Nein«, flüsterte Fräulein Trübner. »Bei uns war er nicht, Herr Külz.«
»Hier scheint man individuell behandelt zu werden«, stellte Rudi Struve fest. »Ich beginne zu glauben, daß die zweite Kontrolle in einem einzigen Abteil stattgefunden hat.«
Herrn Külz blieb die Gänseleberpastete im Munde stecken. Er würgte den Bissen mühevoll hinunter und fragte: »Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß man sich für das Gepäck in Ihrem Coupé mehr als für die Koffer der übrigen Passagiere interessiert hat«, erklärte der junge Mann. »Ich weiß natürlich nicht, weswegen. Aber irgendeinen Grund dürfte es schon gehabt haben.«
Külz starrte Fräulein Trübner an und bewegte lautlos die Lippen.
Sein buschiger grauer Schnurrbart zitterte wie Espenlaub. Hastig griff er nach seinem Koffer, legte ihn auf die Knie, zog das Portemonnaie hervor und holte die Kofferschlüssel heraus.
»Nicht hier!« sagte Fräulein Trübner. Es klang wie ein Befehl.
Herr Struve blickte nervös von einem zum andern.
»Ich werde verrückt«, murmelte Külz. »Wenn der Herr recht hat, kann ich mich aufhängen.«
»Nun verlieren Sie nicht den Kopf!« sagte Fräulein Trübner und stand auf. »Ich setze mich draußen in einen Liegestuhl. Sie, lieber Herr Külz, vergewissern sich irgendwo, wo Sie unbeobachtet sind, ob die zweite Zollkontrolle – normal verlaufen ist. Und dann kommen Sie bitte sofort zu mir an Deck.«
Fleischermeister Külz erhob sich, nahm den Koffer und verließ den pompösen Speisesaal mit müden Schritten. Sein mit schmackhaften Gerichten garnierter Teller blieb als Waise zurück.
Irene Trübner entfernte sich durch die Seitentür, die zum Promenadendeck führte.
Der junge Herr, der Rudi hieß, folgte Külz in einigem Abstand, postierte sich vor der Waschtoilette und wartete.
Fräulein Trübner hatte an Deck Platz genommen. Die Stühle neben ihr waren leer. Der Wind pfiff, und die Wolken hatten es eilig.
Am Horizont schwankte ein Fischkutter. Manchmal verschwand er hinter glasgrünen Wellenbergen. Manchmal wurde er hoch emporgehoben. Bis an den Himmel hinan.
Schwere Schritte näherten sich. Sie wandte den Kopf.
Es waren Külz und Struve.
Der junge Mann hatte den alten Mann untergefaßt, als führe er einen Kranken. Den Koffer trug er außerdem. Ein Stück weißes Leinen schaute heraus.
Külz setzte sich neben die junge Dame. »Fort!« sagte er nur.
»Fort!«
»Man muß augenblicklich den Kapitän verständigen«, meinte Herr Struve energisch. »Die zweite Zollkontrolle war ein Bluff. Herr Külz ist bestohlen worden. Niemand darf in Warnemünde das Schiff verlassen, bevor er von der Polizei untersucht worden ist.«
»Mischen Sie sich, bitte, nicht in meine Angelegenheiten!« sagte Fräulein Trübner.
»Wieso in Ihre Angelegenheiten?« fragte er. »Herr Külz ist bestohlen worden, nicht Sie!«
»Doch sie!« murmelte der Fleischermeister. »Doch das Fräulein!
Die Miniatur gehörte doch ihr!«
»Die Miniatur?«
»Für sechshunderttausend Kronen«, stammelte der alte Mann verzweifelt. »Das kann ich Ihnen nie ersetzen. Niemals, mein Fräulein.«
»Davon ist ja auch gar nicht die Rede«, sagte sie. »Die Verantwortung trage ich allein.«
»Großartig!« erklärte Herr Struve. »Und Sie weigern sich trotzdem, daß ich den Kapitän verständige?«
»Ich weigere mich ganz entschieden!«
Papa Külz hatte die Hände vors Gesicht gelegt und schüttelte den Kopf. »Oh, sind die Menschen schlecht«, stöhnte er. »Mich so zu betrügen! Der Zollbeamte war falsch! Und der Fahrgast, der von der zweiten Kontrolle zu reden anfing, war falsch!«
»Beruhigen Sie sich, lieber Herr Külz«, sagte Fräulein Irene Trübner. »Die Miniatur war auch falsch!«
7. KAPITEL
DER KOFFER UND DIE ZIGARREN
Sie lehnten zu dritt an der Reling. Irene Trübner stand zwischen den beiden Männern. Papa Külz hatte den braunen Velourshut abgenommen, ließ sich den Sturm durch das graue Haar wehen und blickte ungläubig lächelnd aufs Meer. Ihm war zumute, als sei er sehr krank gewesen und als habe der
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