Kastner, Erich
überzeugt, die echte Miniatur zu besitzen. Und vor Berlin wird man von unserm Schachzug nichts merken.«
»Entschuldigen Sie, daß ich mich einmische«, sagte Struve.
»Aber Sie müssen natürlich so tun, als wüßten Sie von dem Diebstahl nicht das geringste.«
»Das ist die Hauptsache«, bestätigte das junge Mädchen. »Sonst war alles vergeblich.«
Herr Struve dachte nach. Dann meinte er: »Somit käme für Herrn Külz erst jetzt der schwerste Teil seiner Aufgabe.«
Irene Trübner nickte.
»Nun macht aber einen Punkt!« rief der Fleischermeister. »Ich bin ein gutmütiger alter Esel. Zugegeben. Ich freue mich, daß ich mich nützlich machen konnte. Vorläufig habe ich aber genug vom Indianerspielen. Mir ist schauderhaft zumute. Und außerdem habe ich Hunger.«
»Essen können Sie natürlich, bevor Sie…«
»Bevor ich was tue?« fragte Külz. »Soll ich mir jetzt vielleicht einen langen schwarzen Bart umhängen? Oder über Bord springen und geduckt hinter dem Schiff herlaufen?«
»Die Aufgabe ist schwieriger«, erklärte der junge Mann. »Sie müssen wieder in Ihr Coupé!«
Külz trat erschrocken einen Schritt zurück und hob abwehrend beide Arme.
»Und Sie müssen sich mit den Fahrgästen unterhalten, als sei nicht das mindeste geschehen.«
»Dann springe ich schon Heber über Bord«, sagte Herr Külz dumpf.
»Sie müssen zurück!«
»Gut«, erwiderte der alte Riese. »Wie Sie wünschen. Dann drehe ich aber leider dem Halunken, der mir das von der zweiten Zollkontrolle vorgequatscht hat, den Hals um. Darauf können Sie Gift nehmen, meine Herrschaften! Mit so einem Strolch soll ich mich freundlich unterhalten? Lächeln soll ich womöglich auch noch?«
»Selbstverständlich«, sagte Rudi Struve. »Sehr viel lächeln!«
»Das Genick brech ich ihm!«
»Lieber, guter Herr Külz«, bat Irene Trübner. »Lassen Sie mich jetzt nicht im Stich! Bitte, bitte! Sonst war alles, was wir erreicht haben, zwecklos.«
Külz stand unentschlossen da und kämpfte mit sich. Dann drehte er sich um und schritt zur Treppe.
»Herr Külz!« rief Rudi Struve.
Der Fleischermeister hielt inne.
»Aus Ihrem Koffer schaut ein Zipfel heraus. Den müssen Sie wegstecken, ehe Sie in den Zug steigen! Sonst weiß man, daß Sie Bescheid wissen.«
Külz senkte den Blick. »Ach so«, sagte er. »Mein Nachthemd!«
Dann kletterte er melancholisch treppab.
Philipp Achtel trat vom Coupéfenster zurück und flüsterte: »Achtung, er kommt!«
Die anderen setzten sich zwanglos in Positur und zogen bemüht harmlose Gesichter.
»Was machen wir, wenn er etwas gemerkt hat?« fragte Karsten.
»Der hat nichts gemerkt«, meinte der kleine Herr Storm. »Das liegt dem nicht.«
»Und wenn er es zufällig gemerkt hat?« fragte Karsten. »Es soll ja schließlich schon vorgekommen sein, daß man in seinem Koffer etwas sucht, auch wenn nichts drin fehlt.«
»Das wird sich zeigen«, behauptete Achtel. »Er kann sich nicht verstellen! Und wenn er etwas gemerkt hat, dann werden wir tun, was der Chef befohlen hat.«
»Trinken kann er!« murmelte Storm. »Aber Salzwasser ist kein Aquavit.«
Da öffnete sich die Tür. Und der Mann, von dem so reizend gesprochen wurde, kam schnaufend ins Abteil.
»Herzlich willkommen!« rief Herr Achtel. »Hat das Essen geschmeckt?«
»Das kalte Büfett dort oben ist prima«, sagte Külz. »Ich könnte schon wieder essen!« Ihm lief das Wasser im Munde zusammen. Er dachte betrübt an die Vorspeisen, die er im Speisesaal verlassen hatte, und hustete geräuschvoll, damit man seinen Magen nicht knurren hörte. Dann hob er den Koffer behutsam hoch und legte ihn so zartfühlend ins Gepäcknetz, als enthalte er dänische Frischeier.
Die anderen lächelten einander zu. Wenn er wüßte, dachten sie.
Der kleine Storm grinste wie ein Teufel.
Papa Külz setzte sich, streckte die Beine aus und griff in die Brusttasche. Nachdenklich zog er die Hand zurück. Dann schüttelte er ärgerlich den Kopf und stand umständlich wieder auf.
»Was suchen Sie denn?« fragte Storm nervös.
»Ach, nur mein Zigarrenetui«, antwortete Külz. »Es liegt im Koffer.«
Die anderen saßen wie vom Blitz getroffen da. Jetzt nimmt das Unglück seinen Lauf, dachten sie.
Oskar Külz holte das Portemonnaie aus der Tasche und brachte den Kofferschlüssel zum Vorschein.
Herr Achtel faßte sich als erster. »Wozu denn die Umstände?«
rief er jovial. Er reichte sein Etui herüber. »Rauchen Sie doch einmal eine Zigarre von mir!«
»Oder von
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