Kastner, Erich
Mal begegnen«, schlug Rudi Struve lächelnd vor. »Unsre Herren Räuber lieben es, Briefe zu schreiben.«
Er nickte Papa Külz munter zu. »Mit mir haben sie auch schon korrespondiert.«
»Wann denn?«
»Während ich mir heute mittag auf dem Trajekt Ihr Coupé ein bißchen näher betrachtete, steckten sie mir heimlich ein Sträußchen an den Hut.«
Fräulein Trübner erschrak. »Das war es also!«
»Hat man Sie auch beschimpft?« fragte Oskar Külz.
»Nein, nur gewarnt.«
»Warum haben Sie mir nicht schon im Zug die Wahrheit gesagt?«
fragte Irene Trübner.
»Wozu denn?« Er lächelte. »Sie hätten sich doch nur um mich gesorgt. Oder etwa nicht, schöne Prinzessin?«
»Ich will ins Hotel«, erklärte Fräulein Trübner aufgeregt. »Ich will auf der Stelle ins Hotel. Ich bleibe keine Minute länger hier!«
»Das geht leider nicht«, sagte Rudi Struve. »Glauben Sie denn, die Kerle haben uns nur die falsche Miniatur zurückgebracht und sind dann nach Berlin gefahren?«
»Was glauben Sie denn?« fragte Külz.
»Was steht als letzte Bemerkung in dem Brief, den Sie eben erhalten haben?« fragte Struve.
Fleischermeister Külz faltete den Bogen noch einmal auseinander, blickte hinein und las: »Auf Wiedersehen!«
»Eben! Wir können keinen Schritt vor die Tür tun, ohne daß mindestens ein Dutzend starker Männer über uns herfällt.«
»Viel Vergnügen«, sagte Külz. »Und ich habe meinen Stock im Hotel gelassen!« Er beugte sich zu Fräulein Trübner und fragte leise:
»Wo ist die echte Miniatur?«
»Ich – ich habe sie bei mir.« Sie biß die Zähne zusammen, um nicht zu weinen.
»Du kriegst die Motten«, erklärte Külz. »Ich komme mir vor wie in einer belagerten Festung.«
»Ein Glück, daß unsre Festung Restaurationsbetrieb hat«, sagte Struve. »Für Essen und Trinken ist fürs erste gesorgt.«
»Wenn ich nur meinen Spazierstock nicht vergessen hätte!« meinte Papa Külz wieder.
»Der Stock würde Ihnen auch nicht helfen«, antwortete Rudi Struve und begann, die Gesichter der übrigen Gäste einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. »Wenn man wenigstens eine Ahnung hätte, was für einen Plan sich unsre Freunde zurechtgelegt haben!«
Irene Trübner flüsterte: »Mich friert.«
Külz winkte dem Kellner und sagte: »Drei große Kognaks. Aber ein bißchen plötzlich!«
11. KAPITEL
DER KOSTÜMBALL GEHT ZU ENDE
Die »Nacht in St. Pauli« nahm ihren Fortgang. Es gehört zu den aufreizendsten Erlebnissen, die man haben kann: die Gleichgültigkeit der Umwelt zu spüren. Und wer hätte sie noch nicht gespürt? Die Kapelle spielte nicht weniger laut und ausgelassen als vorher. An den Tischen, in den Logen und Nischen ging es immer herzlicher zu.
Die Luftschlangen bewegten sich, von den Kronleuchtern und Säulenkapitälen herabhängend, wie Gardinen an offenen Fenstern. Die leeren Weinflaschen vermehrten sich wie die Kaninchen. Gäste gingen. Neue Gäste tauchten auf.
»Was schielen Sie denn dauernd nach der Tür?« fragte Külz.
»Noch eine Miniatur wird man uns kaum hereinbringen! Wir haben sie ja schon alle beide.«
»Das ist es ja eben«, entgegnete Rudi Struve.
Der Fleischermeister stöhnte. »Auf einem solchen Pulverfaß habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesessen. Obwohl ich Kanonier war!« Er winkte dem Kellner. »Ober, noch drei Kognaks!«
Zärtlich wie ein besorgter Vater sah er zu Irene Trübner hinüber.
»Und unsere Prinzessin sagt gar nichts?«
Sie zuckte zusammen. »Meine Herren! Sie sind durch mich in eine schauderhafte Lage gekommen. Was haben Sie beide eigentlich mit der ganzen Sache zu tun? Wie? Ich bitte Sie, mich auf der Stelle allein zu lassen! Gehen Sie ins Hotel, oder fahren Sie nach Berlin oder nach Kopenhagen! Fahren Sie, wohin Sie wollen! Aber gehen Sie!«
»Und was wird aus Ihnen?« fragte der junge Mann.
»Oh, ich weiß mir schon zu helfen«, erklärte sie. »Ich schicke einen Kellner oder den Zigarettenboy zum nächsten Polizisten.«
Rudi Struve zog die Brauen hoch. »Wollen Sie mir verraten, was der nächste Polizist mit zwei Dutzend Verbrechern anfangen soll?«
Sie antwortete nicht.
»Es geht um sechshunderttausend Kronen«, fuhr er fort. »Man hat schon um drei Mark zwanzig Pfennig zwei bis drei erwachsene Menschen totgeschlagen.«
Sie sagte: »Ich kann ja auch das Rostocker Polizeipräsidium anrufen.«
»Natürlich können Sie das«, gab er zu. »Doch einen Zweck wird es kaum haben. Denn wir sind fraglos umstellt, gnädiges
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