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Kastner, Erich

Kastner, Erich

Titel: Kastner, Erich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die verschwundene Miniatur
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Blättchen hinauf in den blauen Himmel. Die beiden Männer hockten sich notgedrungen auf den Rasen und saßen dort, als seien sie bei Chinesen zu Besuch. Die Grillen stimmten ihre Mandolinen. Die Heuhüpfer übten Weitsprung. Und ein leichtgläubiger Zitronenfalter – oder war er nur kurzsichtig? – setzte sich auf die Stoffblume, die an Fräulein Trübners Hut festgenäht war. Es dauerte Minuten, bis er den Betrug merkte und enttäuscht und ohne Honig davonflatterte.
    Rudi Struve sagte: »Man sollte hierbleiben. Wir könnten uns drei Hütten bauen. Was halten Sie davon? Herr Külz würde aus wilden Kaninchen Kalbsleberwurst machen und Wiener Schnitzel. Fräulein Trübner könnte Blaubeeren pflücken und Lindenblütentee kochen.
    Und aus Bucheckern, hab’ ich gehört, kann man sogar Brötchen backen.«
    »Und Sie«, fragte Irene Trübner, »wollen Sie denn gar nichts tun?«
    »Ich brächte Aale und Flundern heim.«
    »Können Sie denn angeln?« fragte Külz.
    »Nein. Ich führe jeden Tag mit der Straßenbahn nach Warnemünde und kaufte die Fische in der Räucherei.«
    Sie lachten und waren lustig.
    Bis sie merkten, daß sie in einem Ameisenhaufen saßen.
    Als sie in Warnemünde anlangten, war es dunkel. Sie gingen noch auf die Mole hinaus und lehnten lange an der steinernen Brüstung, die Land und Meer streng voneinander scheidet.
    Es ist schade, daß dieses Schauspiel allen Menschen zugänglich ist. Manche sind seiner nicht wert.
    Als die drei auf dem Rückweg am Leuchtturm vorbeikamen, begegneten sie einem Mann, der Herrn Struve bekannt vorkam. Er wußte nicht recht, wo er den Kerl hintun sollte, und sagte seinen Begleitern nichts davon.
    Vor einer Tanzdiele blieb Fräulein Trübner stehen und studierte die Schilder, die im Vorgarten angebracht waren. Auf diesen Schildern wurde den Kurgästen mitgeteilt, daß am Abend ein Kostümball stattfände. Übrigens unter dem Motto: »Eine Nacht in St. Pauli«.
    Kostüme, so hieß es, seien zwar erwünscht, aber keineswegs unerläßliche Bedingung.
    »Zu diesem Ball gehen wir!« entschied Fräulein Trübner.
    »Lieber nicht«, riet Papa Külz. »Ich glaube, wir sollten uns bis morgen möglichst unsichtbar machen.«
    Rudi Struve pflichtete ihm bei. »Tanzen können wir auch in Berlin«, meinte er.
    Fräulein Trübner widersprach aufs lebhafteste und nannte die beiden Männer Spaßverderber.
    »Sie sind ein kleines Kind«, sagte Külz. »Wir werden gemütlich Abendbrot essen, einen Schoppen trinken und in die Klappe gehen.
    Morgen früh müssen wir zeitig aufstehen.«
    Es war nichts zu wollen. Sie drohte schließlich, sie werde mutterseelenallein gehen. Ihre Schuld sei es nicht.
    »Schrecklich, schrecklich!« sagte Külz. »Es kommt nämlich dazu, daß ich, sobald ich Musik höre, einschlafe. Besonders nach dem Abendbrot. Ich habe mein Leben lang früh um fünf aufstehen müssen. Außerdem bin ich unmusikalisch wie ein Nilpferd.«
    Aber was blieb den Männern übrig? Sie gaben selbstverständlich nach.
    Als sie im Hotel Beringer angekommen waren, trennten sie sich für kurze Zeit. Dann aßen sie in der Veranda gemeinsam zu Abend.
    »Wir haben ganz vergessen«, meinte Rudi Struve, »uns nach dem Ergebnis des Telefongesprächs zu erkundigen, das Sie mit Ihrer Gattin geführt haben.«
    Papa Külz wußte zunächst gar nicht, von wem die Rede war.
    »Ach so!« rief er endlich. »Sobald jemand von meiner Emilie sagt, sie sei meine Gattin, wird sie mir ganz fremd. Warum sagen Sie denn nicht gleich ›Gemahlin‹? Emilie ist meine Frau! Alles andere ist übertrieben.«
    »Hat sie sehr geschimpft?« fragte Fräulein Trübner. »War es sehr arg?«
    »Das ist es ja«, meinte Külz. »Ich kann’s noch immer nicht glauben. Emilie hat überhaupt nicht geschimpft. Das erste Mal seit unserer Hochzeit!«
    »Was hat sie denn getan?«
    Papa Külz wurde verlegen und trank einen Schluck, ehe er sich näher ausließ. »Geweint hat sie!« sagte er dann. »Sie hat das erste Mal geweint.«
    »Vor Freude?« fragte Struve.
    Der alte Mann nickte. »Unheimlich, nicht? Ich war zu Tode erschrocken. Aber sie hat tatsächlich geweint. Wie’n Kind. Sie brachte kein Wort heraus.«
    »Da haben wir’s!« erklärte Herr Struve. »Wenn Sie vor zwanzig Jahren zum ersten Male davongelaufen wären, hätte ihre Gattin –
    Entschuldigung! – Ihre Frau schon damals vor Freude geweint.«
    »Genau dasselbe habe ich mir gedacht, als ich den Hörer wieder hingehängt hatte«, entgegnete Külz. »Das ganze Leben wäre

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