Kastner, Erich
entkommen. Aber wo war die Tür?
Ein Kronleuchter zersprang. Es regnete Glas. Die Schreie nach Licht und die Hilferufe wurden immer wilder und klangen immer unheimlicher. Die Hölle war los.
Aber eine Hölle, in der die Teufel und die armen Sünder nichts sehen konnten!
Und dann, nach einer Ewigkeit, wurde es wieder hell.
Wie lange diese Ewigkeit gewährt hatte – ob fünf oder zehn Minuten –, das hätte niemand zu sagen gewußt. Es fragte auch keiner.
Sondern alle starrten erschrocken um sich. Schlimmer hätte kein Erdbeben hausen können.
»Wie nach der Sintflut«, konstatierte die Büfettmamsell. Sie hatte sich auf die Ladentafel gerettet, kniete in einer Punschtorte und hatte sich mit den Händen in einem Kirschkuchen festgekrallt.
Die Verwüstungen waren ungeheuer. Die Gäste glichen zerfetzten Zigeunern. Blusen waren aufgerissen. Man sah Jacketts mit einem Ärmel und edle Spanier in Unterhosen. Eine ältliche als Rokokogräfin verkleidete Dame lag unter einem umgekehrten Tisch. Sie hatte Schlagsahne mit Rotwein im Haar und jammerte kläglich. Gäste, über die man hinweggestolpert war, hockten auf dem Parkett und hielten sich die Köpfe. Die Weine und Liköre, die aus Gläsern und Flaschen geflossen waren, bildeten klebrige Pfützen. Der Direktor stieg irrend über die Trümmer und überschlug den Schaden.
Frauen suchten ihre Männer. Zerbeulte Liebhaber suchten ihre Freundinnen. Kellner suchten ihre Gäste. Der erste Geiger lag bewußtlos vor dem Podium. Der Geigenbogen war zerbrochen.
Man wurde an Varus im Teutoburger Wald erinnert. Nur daß sich der römische Feldherr in keinen Fiedelbogen, sondern in ein Schwert gestürzt hatte.
Die Geige glich einer zerquetschten Zigarrenkiste. Der Saxophonist saß im Cello und bemühte sich strampelnd herauszukommen.
Ein Kronleuchter, zahlreiche Wandlampen, ein Fenster, eine Glastür und ein großer Spiegel waren zu Bruch gegangen. Wo man hintrat, knirschte Glas.
Der Direktor hatte die ältliche Rokokogräfin von dem auf ihr lastenden Tisch befreit, hob sie auf und wollte sie zu den Waschräumen führen. Bei dieser Gelegenheit glitt er aus und fiel in eine Sherry-Brandy-Pfütze.
Draußen im Korridor, vor dem Schränkchen mit den elektrischen Sicherungen, saß die Garderobenfrau am Boden und hatte ihren Strickstrumpf mitten im Mund.
Und über all dem Schutt und Tumult, oben in seiner Ecke, stand Fleischermeister Külz aus Berlin, hochaufgerichtet, ein Gott der Rache, und hielt ein einsames Stuhlbein in der mächtigen Faust.
»Wer will ins Krankenhaus?« rief er und blickte wild um sich. »Ich mach’s gratis!«
Es meldete sich niemand.
Zu seinen Füßen lag ein Mann, dem er in der Dunkelheit, um ihn unschädlich zu machen, den Schlips so eng zusammengezogen hatte, daß der Ärmste widerstandslos umgesunken war. Es war übrigens ein völlig harmloser Gast, ein Spediteur aus Güstrow.
Und über der rotplüschnen Logenbrüstung hing kopfüber ein andrer Mann, der Oberkellner des Lokals. Er war von einer leeren Weinflasche getroffen und leicht beschädigt worden. Er war gerade dabei, wieder zu sich zu kommen. Der Tisch stand noch auf allen vieren. Doch die Zuckerdose samt dem Würfelzucker, der Aschenbecher samt der Asche und ein Rosenstrauß samt der Vase, das lag alles auf dem blauen Anzug des Spediteurs aus Güstrow.
»Nur keine falsche Scham!« rief der Fleischermeister und schwang das Stuhlbein wie einen Türkensäbel über dem grauen Kopf. »Nicht drängeln. Es kommt ein jeder dran!«
Fräulein Trübner hockte verstört in ihrer Ecke. Ihr kokettes Hütchen war schiefgerutscht. Sie saß wie vom Donner gerührt, hatte die Augen weit aufgerissen und hielt ihre Handtasche fest an die Brust gepreßt.
Papa Külz ließ die Blicke schweifen, nickte dem jungen Mädchen sieghaft zu und sagte: »Sie sind weg, mein liebes Kind.«
»Wer ist weg?« fragte sie.
»Die Verbrecher«, erklärte er stolz. »Außer den beiden Kerls hier, die ich erlegt habe.«
»Der eine ist aber ein Kellner«, wandte sie ein.
Er betrachtete den Mann, der über der Brüstung hing. »Das ist mir aber peinlich.«
Der andere Mann, der am Boden lag, zerrte sich den Schlips lokker, hustete und erklärte heiser: »Ich bin Spediteur. Wie kommen Sie dazu, mich zu erwürgen?«
»Sie sind auch kein Räuber?« fragte Külz erschrocken.
»Ein Räuber? Sind Sie dun?«
»Es tut mir schrecklich leid«, stammelte der Fleischermeister und verbeugte sich. »Gestatten Sie! Külz!«
»Ehmer«,
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