Kastner, Erich
Fräulein!
Völlig umstellt! Außerdem haben unsere Freunde bestimmten Rostock an der Ausfallstraße nach Warnemünde einen Posten stehen, der sich mit der Belagerungsarmee telefonisch in Verbindung setzen kann, wenn es nötig werden sollte. Und sobald dieser Posten meldet, daß ein Überfallauto unterwegs ist, drehen uns die Herrschaften die Hälse um. Dann hilft auch kein Polizeipräsidium mehr.«
Papa Külz wurde allmählich ungehalten. »Hören Sie auf!« sagte er. »Sie mögen ja recht haben. Aber was sollen wir denn tun? Bis zu unserer Beerdigung warten? Das liegt mir nicht!«
»Mir auch nicht«, meinte Struve. »Wenn wir nur annähernd wüßten, was die Kerle vorhaben!«
Sie schwiegen längere Zeit und blickten schockiert auf den Trubel, der sie umgab und nicht das mindeste anging.
Der Kellner brachte die drei Kognaks.
»Na, denn Prost!« knurrte Oskar Külz.
Sie hoben die Gläser.
Rudi Struve setzte sein Glas nieder, ohne getrunken zu haben. Er schaute auf die Tür und sagte: »Jetzt wird’s Ernst! Ich bitte, die Ohren steifzuhalten!«
Die beiden anderen folgten seinem Blick. Und Papa Külz verschluckte sich vor Staunen. Denn die Herren Storm und Achtel standen mitten im Lokal! Hinter ihnen drängten etliche Männer durch die Tür, die auch zu der Bande zu gehören schienen.
»Das hätte ich allerdings nicht für möglich gehalten!« erklärte Herr Struve. »Einen offenen Überfall? Mitten im Frieden?« Er bückte sich und holte eine leere Weinflasche unter dem Tisch hervor.
»Haben Sie so’n Ding übrig?« erkundigte sich Papa Külz. Er war plötzlich wie aus dem Häuschen und strahlte übers ganze Gesicht.
Der junge Mann hielt ihm eine Flasche hin. »Hier!« flüsterte er.
»Mein Stock wäre mir lieber.« Külz schien sehr an diesem vergessenen Stock zu hängen.
Irene Trübner sagte entschlossen: »Geben Sie mir auch so eine Handgranate!«
»Unsinn!« erklärte Külz. »Wenn es hier zum Keulenschwingen kommt, setzen Sie sich geschwind unter den Tisch und halten sich die Ohren zu!«
»Ich denke ja gar nicht daran!«
»Mir zuliebe«, bat Struve. »Ihr zukünftiger Gatte würde es uns nie verzeihen, wenn Sie sich auf dieser Mensur Schmisse holten und ab morgen wie ein Corpsstudent aussähen.«
»Lassen Sie gefälligst meinen zukünftigen Mann aus dem Spiel«, sagte sie gereizt. »Geben Sie lieber auf die Banditen Obacht!«
Storm und Achtel hatten an einem Tisch Platz genommen und blickten sich suchend in dem Lokal um. Als der kleine Herr Storm seinen alten Freund Külz entdeckt hatte, grüßte er herüber und lächelte hocherfreut.
Der alte Fleischermeister bekam einen feuerroten Schädel. »So eine Frechheit war doch noch nicht da!« erklärte er. »Ich werde ihm die Weinflasche um die vermurksten Ohren schlagen, bis er wie eine mit Glassplittern gespickte Mauer aussieht! Und der andre hat mir weisgemacht, er besuche hier Frau und Kinder!«
»Der Mensch lernt nicht aus«, behauptete Rudi Struve. Damit sollte er recht behalten.
Im nächsten Augenblick erlosch nämlich in der Tanzdiele das Licht! Das von mindestens hundertundfünfzig Personen erfüllte Lokal versank in schwarze Nacht. Alle Treppen, Nischen, Winkel und Logen lagen im Dunkel. Es war stockfinster wie in einem Kartoffelkeller.
Die Kapelle brach ihre Tätigkeit mit einem Mißakkord ab. Nur der erste Geiger spielte noch einige Takte weiter. Dann gab auch er es auf. Die Tanzpaare auf dem Parkett und die Gäste an den Tischen lachten laut. Gläser fielen um. In manchen Ecken ging es zärtlich zu.
Man konnte, wenn man gute Ohren hatte, Küsse hören.
Die meisten hielten das Ganze für einen aparten Einfall der Direktion. Doch dann schrie jemand: »Hilfe, Hilfe!« Es war eine Frau.
Was sollte das bedeuten? War das noch Spaß? Sie spürten alle: Das war kein Spaß, und nie war es einer gewesen.
Nun schrien zahllose Stimmen gellend durcheinander. Tische und Stühle stürzten krachend um. Holz splitterte. Die Kellner fluchten wie die Kutscher. Sie hatten Angst, ihre Gäste könnten durchbrennen. Ein Spiegel ging in Trümmer. Oder war es eine Glastür? Oder ein Fenster? Man sah nichts und ertrank in Geräuschen. Weinen, Geschrei und hysterisches Gelächter vermengten sich.
»Licht!« brüllten die Leute. »Licht, Licht!«
Das Durcheinander war vollkommen. Frauen wurden umgerissen, klammerten sich an fremde Kleider, an Tischdecken, an fremde Arme und Beine. Über die am Boden Liegenden hinweg suchten andere ins Freie zu
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