Kastner, Erich
zynisch.
Fräulein Trübner und Herr Fleischermeister Külz waren auf dem Revier in Warnemünde zu ihren Personalien vernommen worden.
Sie hatten ihre Reisepässe vorgelegt und den Namen des jungen Mannes mitgeteilt, der spurlos aus der Tanzdiele verschwunden war.
Er wohnte in Charlottenburg in der Holtzendorffstraße, hatte das Fräulein hinzugefügt.
»Die Bande hat Herrn Struve wahrscheinlich mitgeschleppt«, sagte der Inspektor. »Er wird sich zur Wehr gesetzt haben. Er wird hinter ihnen hergelaufen sein, um sie aufzuhalten. Und dann hat man ihn überwältigt.«
»Schrecklich!« rief Külz. »Der arme Junge! Wer weiß, wie und wo wir ihn wiederfinden. Hoffentlich hat er keine Angehörigen.«
Irene Trübner versank in Melancholie und versuchte, aus ihren Handschuhen einen Strick zu drehen.
Es wäre ihr fast gelungen. Sie wurde aber in ihrer Arbeit unterbrochen. Brüssel meldete sich. Die junge Dame eilte ins Nebenzimmer. Zum Telefon. Der Chef wird staunen, dachte sie. Hoffentlich kündigt er mir erst per 1. Januar.
Inzwischen verbreitete sich Herr Oskar Külz über Herrn Storm und die übrigen Insassen des Coupés dritter Klasse, in dem er gereist war. Er wies darauf hin, daß Rudi Struve es gewesen sei, der ihn mit Hilfe eines Märchens auf die Gemeingefährlichkeit der Fahrgäste aufmerksam gemacht hatte.
Dann berichtete Külz von seinen seltsamen Erlebnissen in Kopenhagen, vom »Vierblättrigen Hufeisen«, von der Pension Curtius und von dem weißbärtigen Herrn mit der dunklen Brille. Er holte das Zusammentreffen mit Storm im Hotel d’Angleterre und vor dem Antiquitätengeschäft in der Bredgade nach. Und schließlich versuchte er sich darin, die Physiognomien Storms, Achtels, Horns und der übrigen anschaulich zu beschreiben. Nun, das ist schon ganz andren Leuten als einem Mann wie Oskar Külz mißlungen.
Der Inspektor stellte knappe Zwischenfragen. Ein Polizist protokollierte die Angaben, die der Zeuge Külz machte.
Als dem Zeugen nichts mehr einfiel, erhob sich der Inspektor.
»Ich gebe das Protokoll sofort nach Rostock durch«, sagte er. »Von dort aus wird man dann die notwendigen Schritte einleiten. Ich selber lasse die hiesige Zollstation und die Bahnpolizei informieren.
Sonst kutschiert die Bande womöglich nach Kopenhagen zurück.
Entschuldigen Sie!«
»Bitte, bitte!« antwortete der Zeuge. »Nun zeigen Sie, was Sie können! Ich möchte gern einmal sehen, wozu ich soviel Steuern zahle.«
An der Tür begegnete der Inspektor Fräulein Trübner. Sie sagte:
»Herr Steinhövel setzt zehntausend Mark Belohnung für die Herbeischaffung der Miniatur aus. Und morgen nachmittag trifft er in Berlin ein.«
Der Inspektor war außer sich. »Zehntausend Mark Belohnung?
Das hat uns noch gefehlt! Nun werden uns ab morgen alle Leute, die zuviel Zeit und zuwenig Geld haben, die Bude einrennen und mit wichtigen Nachrichten eindecken!« Er entfernte sich ärgerlich.
»Na, Kindchen?« meinte Külz. »Hat Sie Ihr Chef hinausgefeuert?«
»Nein. Aber er will die Miniatur wiederhaben! Um das Geld ist’s ihm nicht zu tun. Die Holbein-Miniatur ist mit fünf hunderttausend Mark versichert.«
»Was es so alles gibt«, rief Herr Külz aus. »Wenn ich Ihr Chef wäre, bisse ich mich vor Freude, daß der Holbein geklaut worden ist, in den Daumen und nähme die fünfhunderttausend Mark von der Versicherung! Ich würde der Bande sogar einen Brief schreiben, sie solle die Miniatur um des Himmels willen nicht zurückbringen!«
»Mein Chef liebt die Kunst, nicht das Geld.«
»So was ist krankhaft«, stellte der Fleischermeister fest. »Absolut krankhaft. Hoffentlich wird es nicht schlimmer.«
Eine Viertelstunde später brachte der Polizei-Inspektor seine zwei Zeugen zum Hotel Beringer zurück und bat sie, sich am nächsten Morgen gegen sechs Uhr bereitzuhalten. Er hole sie dann im Wagen ab und begleite sie nach Rostock. Die dortigen Instanzen hätten noch einige Fragen zu stellen.
Er verabschiedete sich.
»Nun können wir ruhig schlafen«, meinte Külz, als er mit Irene Trübner die Hoteltreppe hinaufstieg. »Was weg ist, brummt nicht mehr.« Er reichte ihr die Hand. »Gute Nacht, mein Kind. Morgen früh fahren wir zum erstenmal in der Grünen Minna. Hoffentlich träume ich nicht davon.«
»Gute Nacht, Papa Külz«, sagte sie müde. »Schlafen Sie gut!«
Dann schloß sie die Zimmertür auf.
»Halt!« rief er und faßte in die Jackettasche. »Wollen Sie nicht Ihren falschen Holbein wiederhaben?« Er hielt ihr
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