Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
wandte Deflandre mit zynischem Unterton ein. „Ich war jede Nacht in meinem Bett, falls es euch interessiert. Ich war immer um neun im Hotel und habe es danach nicht mehr verlassen. Fragt doch den Nachtportier, dem entgeht nie etwas!“ „Da sie vorzugsweise den Hinterausgang benutzen, können wir uns das wohl sparen!“
Nicole schaute Grangé tief in die Augen. „Was tun sie hier in De Panne?“ „Ich wollte einfach weg aus Brüssel. Wissen sie was das bedeutet, zehn Jahre lang eingesperrt zu sein? Und dann raus zu kommen und nichts mehr zu haben, außer einem Bankkonto?“ „Ein Konto? Heißt das, sie haben Geld?“ „Ich habe gut verdient damals und auch ein paar Euro geerbt. Ich komme ein Weilchen zurecht, ohne dass ich arbeiten muss.“ „Was ist mit ihrer Wohnung in Brüssel?“ „Ich hab´s da nicht mehr ausgehalten, verstehen sie?“ „Sie waren also seit einer Woche nicht mehr in Brüssel?“ „Ich war seit Monaten nicht mehr dort.“ „Die Wohnung ist fast leer, es gibt kein Namensschild, niemand kennt sie in dem Haus. Schon etwas merkwürdig, oder?“ „Wie ich schon sagte, ich habe es in Brüssel nicht ausgehalten. Ich bin gar nicht dazu gekommen, die Bude einzurichten.“
Sie brachten Grangé ins Kommissariat. Die Polizisten schwiegen die gesamte Fahrt über. Deflandre und van den Berg wussten nicht, woran sie bei Grangé waren. Deflandre vermutete, dass er in der Sache drinsteckte und die Morde mit einem Komplizen eingefädelt hatte. Nicole hielt den Mann für absolut unschuldig, van den Berg mochte sich nicht festlegen. Der Kommissar tendierte aber eher zu Nicoles Position, vor allem deshalb, weil sich die Psychologin mit ihrer Einschätzung von Tatverdächtigen bislang so gut wie nie getäuscht hatte.
5
Die Kirchenglocken schlugen siebenmal, als sich van den Berg ins Kommissariat aufmachte, was ungewöhnlich früh für ihn war. Er hatte eine unruhige Nacht hinter sich und spülte zum Frühstück eine trockene Scheibe Toast mit Kaffee herunter. Er kippte sich noch etwas von der braunen Brühe nach, die noch dunkler war als sonst.
Als der Kommissar die Tasse an die Lippen setzte, ließ er sie im gleichen Augenblick auf den Tisch knallen. Van den Berg bekam eine Gänsehaut – er dachte an Muller. Jetzt wurde ihm klar, was mit dem Mann nicht stimmte. Van den Berg hatte den Alten und dessen Wohnung nun ganz klar vor Augen. Den Eichentisch, das Sofa und die Sessel. Jetzt sah er, was auf dem Stuhl am Fenster gelegen hatte, etwas, dass er nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Und es war ihm klar, was es bedeutete. Nach einer kurzen Dusche riss er die nächstbesten Klamotten aus dem unübersichtlichen Kleiderschrank, ein schwarzes Shirt und eine Bluejeans, dann raste er los.
Vor seinem Büro wurde er bereits erwartet. Er kannte den Mann in dem grauen Mantel, der ihn mit einem unnatürlich freundlichen Lächeln empfing. Es war Henk Vercauteren, ein renommierter Strafverteidiger, der sich vor Gericht den Ruf erworben hatte, ein gewiefter Taktiker zu sein. Seine Masche bestand darin, Zeugen, die seine Mandanten belasteten, als vermeintlich unseriös und unglaubwürdig zu entlarven oder der Polizei Formfehler bei ihren Ermittlungen nachzuweisen.
Der Kommissar bat den Anwalt in sein Zimmer. „Das sind ja abenteuerliche Sachen, die sie meinem Mandanten vorwerfen. Mich würde brennend interessieren, was sie konkret gegen Monsieur Grangé in der Hand haben“, begann der Anwalt angriffslustig.
Van den Berg hatte noch am Abend mit dem zuständigen Staatsanwalt telefoniert und sich anhören müssen, dass es keine Handhabe gab, Grangé länger in Haft zu behalten.
„Wir behandeln Yves Grangé aufgrund seiner Vorgeschichte und seines Untertauchens in De Panne als Verdächtigen in den beiden Mordfällen Bouvier und Lerisse. Er ist abgehauen, als wir ihn sprechen wollten - spricht nicht gerade für seine Unschuld!“ Der Anwalt lächelte siegesgewiss. „Und weiter? Nur, weil mein Mandant einmal für eine Straftat verurteilt worden ist und keine große Lust verspürt, sich mit Polizisten zu unterhalten, ist er Ihr Hauptverdächtiger in einem zweifachen Mordfall? Machen sie sich nicht lächerlich!“
Van den Berg hätte den schleimigen Anwalt am liebsten aus dem Fenster katapultiert, so wie sie es mit den kaiserlichen Räten beim Prager Fenstersturz vor 400 Jahren gemacht hatten. Aber er hatte sich unter Kontrolle. „Wir haben in der Tat noch keine Beweise
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