Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
gemeinsam das Frühstück einnehmen. Eine halbe Stunde hatten sie Zeit, sich an einem üppigen Buffet zu bedienen, das keine Wünsche offen ließ. Anschließend erschien er selbst und zog sich mit einem der Mädchen in einen der Rokoko-Räume zurück, die mit Himmelbetten und allem möglichen Plüsch ausgestattet waren.
Um Punkt 13 Uhr wurden die Mädchen mit einem hellen Glockenläuten zum Mittagessen gerufen. Am Nachmittag mussten sie zum Sport antreten, unter ständiger Beobachtung der Wachen und Kameras. Sie passten höllisch auf, nichts Unvorsichtiges zu sagen, denn die Katakomben waren nicht nur mit Kameras, sondern auch mit empfindlichen Mikrofonen ausgestattet.
Eine hundertprozentige Bewachung blieb aber trotz aller Anstrengungen utopisch. Wenn die Mädchen flüsterten, wurde das nicht von den Mikros erfasst. Genauso wenig konnten sie die immer raffiniertere Zeichensprache entschlüsseln. Der Jäger verzichtete ohnehin meist darauf, die Mädchen für Fehlverhalten zu bestrafen. Weil er sicher war, dass sie keine Chance hatten, aus den Katakomben zu fliehen, und alles andere interessierte ihn nicht besonders.
Er schritt auch nicht ein, als er merkte, dass die Mädchen Gruppen bildeten. Catherine und Dorothee zogen sich oft auf den Tennisplatz zurück, Olja und Nadja zum Karate. Die beiden Russinnen waren die Ersten, die dahinter kamen, wo der zweite Fluchtweg lag. Der Fahrstuhl, mit dem der Jäger dreimal täglich in die Katakomben hinab fuhr, war die allseits bekannte Alternative. Er war auf den ersten Metern der früheren Bunkeranlage eingebaut worden und weithin sichtbar.
Die Mädchen hatten kapiert, dass es keine reelle Möglichkeit gab, mit dem Lift in die Freiheit zu gelangen. Der Aufzug war nicht nur gut bewacht, sie wussten, dass es den passenden Fingerabdruck und das dazugehörige Auge brauchte, um die Tür der kleinen stählernen Kabine öffnen zu können. Dass sie den zweiten Weg nach oben entdeckten, war dem Zufall, aber auch Oljas Technikverständnis zu verdanken. Ihr Vater, der Ingenieur war und sein Geld damit verdiente, die Elektrik von Hochhäusern zu warten, hatte ihr Interesse für Technik geweckt.
An einem Julimorgen waren Hugo und der Jäger in die Katakomben gekommen, hatten hektisch das Wachpersonal zusammengetrommelt und am Fahrstuhl versammelt. Worum es ging, hatten Olja und Nadja nicht mitbekommen. Sie checkten aber schnell, dass es die perfekte Gelegenheit war, die Katakomben ungestört zu erkunden.
Olja wusste, dass es einen großen Schacht geben musste, der die riesige Anlage mit Frischluft, Strom und Wasser versorgte. Im hinteren Trakt, wo das Schwimmbecken, die Küche und die Sportanlagen untergebracht waren, gab es den größten Bedarf an Ressourcen, sie fand es am logischsten, den Schacht in diesem Bereich zu planen. Olja nahm Nadja an die Hand, schnappte sich zwei der High-Tech-Räder und raste mit ihr ans andere Ende der Katakomben.
Es war den Mädchen erlaubt, die Bikes zu benutzen. Natürlich war ihnen klar, dass jede ihrer Bewegungen von den Videokameras aufgezeichnet wurde, aber dieses Risiko mussten sie jetzt eingehen. Wenn sie nichts unternahmen, würden sie unausweichlich auf ihren baldigen Tod zusteuern. Der Jäger hatte ihnen gerade erst eröffnet, dass mit dem zwanzigsten Geburtstag alles vorbei sein würde.
Sie kamen ans Ende der breiten Röhre – Olja deutete auf jene Stelle, von der sie glaubte, dass sich dahinter der Fluchtweg verbergen konnte. „Hinter dieser Wand könnte er sein – das wäre logisch, von hier aus ist die Entfernung zum Pool, zur Küche und zu den Sportanlagen gleich weit“, flüsterte die Russin. Die beiden tasteten die Wand ab und fanden nach einer Weile einen schmalen Spalt. „Volltreffer, ich wette meinen Arsch darauf, dass wir hier finden, was wir suchen“, meinte Olja euphorisch.
„Aber wie kommen wir da rein?“, erwiderte Nadja ratlos. „Die Mädchen drückten gegen die Wand, aber nichts bewegte sich. „Abgefahren, ich sehe hier gar keinen Sicherheitsmechanismus, kein Schloss, keine Tastaturen oder so ein Scheiß“, raunte Olja verärgert. Intuitiv drückte das kräftige Mädchen in einem anderen Rhythmus gegen die Türe, zweimal in kurzen Abständen. Zu ihrem Erstaunen ließ sich die Wand nun mit großer Leichtigkeit bewegen. „Geil!“ Als sie den Schacht betraten, wurde es automatisch hell.
Die Mädchen zuckten zusammen. Es war ziemlich laut in der Anlage – sie mussten fast schreien, um
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