Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
könnten.“ „Wieso? Ich bin ein rotes Tuch für ihn – er hat doch schon einmal versucht, mich zu beseitigen“, warf Nicole ein. „Vielleicht wäre er tatsächlich so bescheuert, es noch einmal zu versuchen. Aber ich möchte dich aus der Schusslinie halten.“ Frank De Gruye bot sich an. „Dich brauchen wir für Fontaine und noch einen Kollegen möchte ich nicht ins Boot holen – das ist zu riskant. Ich selbst könnte als Zielscheibe herhalten.“ Nicole schüttelte energisch den Kopf. „Das geht nicht – du leitest die ganze Aktion. Wenn du fliehen müsstest, wie solltest du dann einen kühlen Kopf bewahren? Und den wirst du brauchen, noch mehr als wir.“ „Eine andere Möglichkeit sehe ich aber nicht, außer …“ Der Kommissar machte eine Pause und setzte die Kollegen unter Hochspannung.
„Außer, wir setzen auf die Mädchen.“ De Gruye schaute ratlos, während Nicole sofort checkte, was er vorhatte. „Das könnte funktionieren, wenn sich die Mädchen mit Hugo anlegen. Nur, wie willst du das machen?“ „Wir müssen uns die Glotze zunutze machen.“ „Das Fernsehen? Wie sollen wir die Aktion dann unter der Decke halten?“ „Wenn wir nur mit einem Mädchen zusammenarbeiten, dann wird es funktionieren.“
Irina Andreew war anfangs mäßig begeistert, als sie hörte, dass sie in der Killerjagd den Lockvogel spielen sollte. Für Nicole war es jedoch ein Leichtes, die junge Frau umzustimmen. „Wenn sie uns nicht helfen, wird Hugo weiter frei herumlaufen und er wird weiter morden, früher oder später“, sagte sie beschwörend. Die Russin schlug ein, obwohl sie ein mulmiges Gefühl bei der Sache hatte. Die Psychologin hatte noch einen zweiten Trumpf ausgespielt. „Wenn wir ihn kriegen, kassieren sie die Belohnung. Es sind zehntausend Euro auf seine Festnahme ausgesetzt – die gleiche Summe übrigens wie für die Ergreifung Fontaines.“ Irina nickte, dann lächelte sie.
Nicole konnte sich leicht ausmalen, in welche Richtung die Fragen der Sensationsreporter gingen. „Was sie genau gefragt werden, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass sie das sagen, was wir besprochen haben. Ignorieren sie die Fragen einfach und bringen sie die Botschaft rüber.“ Irina war von den Mädchen nicht nur die Redegewandteste, sie war auch die Einzige, die ein wenig Englisch sprach.
Am Vormittag waren in der Pressestelle des Kommissariats unzählige Anfragen der Massenmedien aufgelaufen. Van den Berg und Nicole waren sich einig, dem BRF das erste Interview zu gewähren. Sie machten es zur Bedingung, dass es live über den Sender ging. Sie wollten sicherstellen, dass nichts geschnitten werden konnte.
Das Fernsehen schickte einen jungen Reporter, der mit nach hinten gestriegeltem Haar, einer modischen Hornbrille und einem Maßanzug aufkreuzte. Er war berüchtigt dafür, seine Gesprächspartner zu reizen und zu unbedachten Äußerungen zu treiben. Sie entschieden sich, das Gespräch nicht im Kommissariat, sondern in der Stadt zu machen. „Hugo soll sehen, dass die Mädchen keine Angst haben, dass sie selbstbewusst sind. Er soll das Gefühl bekommen, dass ihnen die Jahre in den Katakomben nichts anhaben konnten“, überzeugte Nicole ihren Partner.
Das Kamerateam traf die Vorbereitungen an der Börse – einige Touristen fragten sich, was los war. Irina, die unglaublich viel Make-up im Gesicht hatte, erweckte den Eindruck, als habe es das jahrelange Martyrium nie gegeben. Für das Interview unterbrach der Sender sein laufendes Programm. „Sie sehen toll aus“, begann der Journalist schleimig lächelnd. „Danke, mir geht´s bestens!“ „Man sieht ihnen wirklich nicht an, was sie durchmachen mussten.“ Irinas Augen flackerten angriffslustig. „Glauben sie, dass mich zwei kranke Psychopathen fertigmachen können?“ „Sie klingen kämpferisch, nach fünf Jahren in den Händen von Mördern und Vergewaltigern …“ „Wir haben die beiden Typen doch gar nicht ernst genommen.“
Dem karrieregeilen Reporter stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Er hatte ein verstörtes, geschocktes Opfer erwartet – er hatte das genaue Gegenteil vor dem Mikrofon: eine selbstbewusste, schlagfertige Frau. „Gehen sie schon wieder unter Menschen?“, fragte er nach einer kurzen Pause. „Machen sie Witze? Aber sicher! Ich stehe voll drauf, in Cafés am Grand Place zu sitzen“, erwiderte Irina mit einem breiten Lächeln. „Wann gehen sie wieder zurück nach Russland?“ „Bald, aber ich mache
Weitere Kostenlose Bücher