Kater mit Karma
Kipling
Als das Flugzeug abhob, empfand ich eine aufregende Mischung aus Angst und Befreiung. Was immer mich erwartete, sei es, dass ich mit ansehen musste, wie Lydia Nonne wurde, oder dass mich ein vorzeitiger Tod durch eine romantisch klingende Krankheit ereilte, jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich streifte die Schuhe ab und döste vor mich hin, aß ein paar Bissen, sah mir einen Film an und warf einen Blick auf den Monitor. Wir waren immer noch über Australien! Die Landschaft unter mir ähnelte einem Felsbassin – braun mit blauen und grünen Flecken. Sie war überraschend schön.
Es war mir peinlich, wie riesig meine Schuhe neben denen des zierlichen malaysischen Mannes auf dem Nachbarsitz aussahen. Ich musste wie ein Walross auf ihn wirken. Er war jedoch freundlich und zuvorkommend.
Gegen Ende des Flugs reichte mir mein neuer malaysischer Freund seine Karte, vermutlich zum Dank dafür, dass ich nicht im Schlaf auf seinen Sitz gerollt war und ihn erdrückt hatte. Gemeinsam verließen wir das Flugzeug und traten hinaus in die Saunahitze von Kuala Lumpur, wo ich einen vierundzwanzigstündigen Zwischenstopp hatte. Die Wolkenkratzer waren anlässlich des chinesischen Neujahrsfests mit bunten Lichtern geschmückt. Immer wieder erkundigte sich jemand in besorgtem Ton, ob ich allein sei. In den Restaurants eilten die Kellner davon und brachten mir Zeitungen und Zeitschriften, um das nicht vorhandene Unbehagen einer alleinreisenden Frau zu mildern.
Eins der Dinge, die ich bewusst nicht eingepackt hatte, war Lydias altes Trägertop. In einem schicken Laden entdeckte ich ein Top mit einem Calvin-Klein-Logo aus Glitzersteinen. Eine riskante Wahl. Ich hoffte, dass von der alten Lydia noch genug übrig war, um das Glitzern zu würdigen.
Im gleichen Einkaufszentrum suchte ich die Toilette auf. Auf einem Schild stand »Hier anstellen«. Aus den fünf Kabinen war kein Laut zu hören. Als ich schließlich an der Reihe war, fand ich heraus, warum. Das Klo bestand aus einem glänzenden weißen Becken mit einem Lock in der Mitte und Fußstützen links und rechts. Keine Sitzfläche. Die Benutzung schien das Entfernen sämtlicher Kleidungsstücke von der Taille abwärts zu erfordern. Ich kapitulierte gereizt und flitzte zurück ins Hotel. Wenn ich nicht einmal mit einem blitzblanken Klo in Malaysia klarkam, wie in aller Welt würde es mir dann mit den Sanitäreinrichtungen eines sri-lankischen Klosters gehen?
»Hat die Musik die richtige Temperatur für Sie?«, fragte mich im Hotel die hübsche Masseurin, als ich mich für eine dringend benötigte Massage auf die Bank legte.
Wenige Minuten später wünschte ich, ich hätte auf die »traditionelle« Massage verzichtet. Der einzige Grund, warum manche Massagen als »traditionell« bezeichnet wurden, war wohl der, dass sie für den Normalbürger zu brutal waren. Die Masseurin zerrte an meinen Zehen, bis sie aus den Gelenken sprangen. Innerhalb einer von heftigem Schmerz erfüllten Sekunde schnellte meine Schuhgröße eine Nummer höher.
Der Zwischenstopp war mir gegen den Jetlag empfohlen worden, aber als ich um Mitternacht schwankend das Flugzeug nach Colombo bestieg, war ich immer noch reichlich desorientiert. Vor mir saßen einige junge Männer mit Strandhüten und den unvermeidlichen Tattoos, und ich stellte fest, dass ihre Beine behaart waren, in ihren Gesichtern dagegen kaum etwas spross. Sie rochen nach Kaugummi und hatten Plastiktüten mit zollfreiem Wodka dabei. Die Welt war ihr Spielplatz. Während sie in einer unverständlichen Sprache miteinander herumalberten, meinte ich zu hören, wie etwas von Kolumbien durchgesagt wurde. Ich war so benommen, dass ich einen Augenblick lang dachte, ich hätte das falsche Flugzeug bestiegen und wäre auf dem Weg in die Kokainhauptstadt Südamerikas, wo man mich mit meinen Outdoor-Mittelchen bestimmt als Drogenkurier verhaften würde.
Ich sah mir Secretariat – Ein Pferd wird zur Legende an, schlief mittendrin ein und wurde vom Pfeifen der Triebwerke beim Landeanflug geweckt. Unter mir zogen sich die Lichter von Colombo wie eine Perlenkette an der Küste entlang. Das Land, das meine Tochter in seinen Bann gezogen hatte und im Lauf der Jahre von so viel Leid heimgesucht worden war, wirkte erstaunlich friedlich.
Der Pilot entschuldigte sich für die holprige Landung. Daran seien die Flutschäden auf der Landebahn schuld. Die waren mir gar nicht aufgefallen, so sehr war ich damit beschäftigt gewesen, mir die anderen Flugzeuge auf
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