Kater mit Karma
Liebesgeschichte, die ausgerechnet in Sri Lanka spielt. Ich schlug eine Biographie von Virginia Woolfs Ehemann Leonard auf und erfuhr, dass er vor ihrer Heirat als britischer Kolonialbeamter in Ceylon öffentliche Hinrichtungen überwacht und sich mit einheimischen Frauen vergnügt hatte.
Falls Lydia tatsächlich Nonne geworden war, überlegte ich, blieb mir eigentlich nicht viel mehr, als ihr meine Unterstützung anzubieten. Falls sie jedoch noch darüber nachdachte, nun ja, dann war es ihre Entscheidung. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, dem Kloster einen Besuch abzustatten und Anteil an ihrem Leben zu nehmen.
Ich hatte bislang wenig Neigung verspürt, die Insel der Tränen zu besuchen, aber Lydia bedeutete es sehr viel. Und wenn es für sie wichtig war …
Eines Nachmittags legte ich mich mit Jonah aufs Bett, und er aalte sich in einem Sonnenstrahl. Ich fasste ihn sanft bei den Vorderpfoten und sah ihm in seine ernsten blauen Augen.
»Was meinst du, was ich tun soll?«, fragte ich und legte meine Stirn an seine.
Ohne zu blinzeln, sah er mich an und sein Blick sagte: Geh.
»Aber was ist mit meiner Gesundheit?«, fragte ich und strich ihm über die Nase.
Meine Kraftreserven waren immer noch minimal. Auf Spaziergängen sprintete meine Familie voraus, während ich hinterherschlich und so tat, als würde ich die Landschaft genießen. Ich war langsam, und meine Lunge schien geschrumpft zu sein. Bei der geringsten Anstrengung begann ich zu keuchen.
Ich fing mir dauernd irgendeinen Virus ein und jedes Mal dauerte es länger, ihn wieder loszuwerden. Körperliche Kraft war keine Selbstverständlichkeit mehr für mich. Ich hatte Taubheitsgefühle in beiden Armen, die, wie eine MRT ergab, von einer Stenose in meiner Halswirbelsäule herrührten, aber (so fügte der Arzt fröhlich hinzu) es war kein Tumor.
Die riesige grinsende Narbe auf meinem Bauch war auch nicht ohne. Wenn ich mich zu schnell aufsetzte oder ungeschickt drehte, durchzuckte mich ein stechender Schmerz. Ich googelte die Symptome und fand Beiträge von Leuten, bei denen sie nach der gleichen Operation ebenfalls aufgetreten waren. Manche verglichen sie mit Muskelkrämpfen. Tatsächlich fühlte es sich an, als würde einem ein Pferd in den Bauch treten. Den anderen Googlern zufolge wurde es im Lauf der Zeit noch schlimmer.
Unzählige Fragen, die mit »Was, wenn« begannen, gingen mir durch den Kopf. Mein keuchender, ächzender, von Krämpfen und Infektionen geplagter Körper war Sri Lanka wohl kaum gewachsen. Was, wenn ich es mal nicht die Stufen zum Kloster hinaufschaffte? Oder wenn ich mir einen fürchterlichen Bazillus einfing und im Dschungel elendig starb?
Eines Morgens, ich arbeitete mich gerade durch mein Müsli, blinzelte Jonah mir zu und schickte mir eine Botschaft: Willst du aufhören zu leben, bloß, weil du dem Tod ins Auge gesehen hast?
Er hat recht, dachte ich. Ich konnte zu Hause bleiben, grünen Tee trinken, Stress vermeiden und ununterbrochen daran denken, dass ich nicht unsterblich war, oder ich konnte dem Beispiel meiner Tochter folgen und leben.
Ich griff nach dem Telefon und wählte die endlose Nummer des Klosters. Zuerst rauschte es in der Leitung, dann summte es, und dann kam zum ersten Mal auf Anhieb eine Verbindung zustande. Eine melodische Frauenstimme meldete sich. Wahrscheinlich eine Nonne. Im Hintergrund hörte ich tropische Vögel singen und zwitschern, während sie sich auf die Suche nach Lydia machte.
»Regnet es immer noch?«, fragte ich unsere Tochter. »Ist das Kloster von den Fluten weggeschwemmt worden?«
Lydia versicherte mir, es ginge ihr gut. Da, wo sie war, regnete es zwar auch viel, aber die Überschwemmungen waren weiter südlich. Bei ihr klang es so, als gäbe es Probleme immer nur woanders.
»Ich dachte, ich komme im Februar«, sagte ich.
»Hierher ins Kloster?«, fragte Lydia und klang dabei gleichzeitig erfreut und nervös.
Ich holte tief Luft und stellte mir die zweihundert Stufen vor. Und das Loch im Boden, das mir vermutlich als Toilette dienen würde. Und die nicht vorhandenen Handtücher, flauschig oder nicht. (Bettwäsche sollten die Gäste selbst mitbringen.) Dann war da noch das, was Katharine kürzlich in ungewohnter Kleine-Schwester-Häme gepetzt hatte – Lydia hatte einen Blutegel »an ihrer Vagina« entdeckt. (Ich hatte es geschafft, zwei Töchter großzuziehen, die den Unterschied zwischen Vagina und Vulva nicht kannten.)
»Ja.«
Aber drei Nächte im Kloster würden mir reichen,
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