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Kater mit Karma

Kater mit Karma

Titel: Kater mit Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
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wollte buddhistische Nonne werden, würde ich wahrscheinlich bewundernd nicken. Als das ziemlich spirituelle Wesen, das ich war, hatte ich andere immer ermuntert, sich mit dem auseinanderzusetzen, was nicht einfach nur physische Realität war. Aber ich war nicht darauf vorbereitet, dass meine Tochter das so ernst nahm. War ich nun ein Heuchler?
    Einmal hatte ich ein westlich aussehendes Mädchen mit kahlrasiertem Kopf und rotbraunen Gewändern gesehen, das in der Nähe der Universität eine Straße entlangwanderte. So konnte sich Lydia keinesfalls blicken lassen.
    »Es ist dieser Mönch, oder?«, fragte ich leise.
    Lydias Miene verhärtete sich. Trotzig, wenn auch mit Tränen in den Augen, erwiderte sie meinen Blick.
    »Denkst du, das fällt mir leicht?«, sagte sie und stand auf, bereit zur Flucht. »Mich von allen, die ich liebe, verabschieden und einen Kotau vor neun Jahre alten Mönchen machen, nur weil es Jungen sind?«
    Ihre feministischen Wurzeln reichten mehrere Generationen zurück. Es war nicht Teil unseres Erbguts, uns vor Männern in den Staub zu werfen.
    Rebellion. Um nichts anderes ging es hier. Eigensinnige junge Frauen boten ihren Müttern die Stirn, um eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie eine Sexkolumne für eine Studentenzeitschrift geschrieben. Ich fragte mich, was schockierender war. Meine Tochter, die Sexkolumnistin, oder meine Tochter, die buddhistische Nonne.
    Wenn sie schon unbedingt rebellieren wollte, warum ließ sie sich dann nicht einfach ein Tattoo stechen?
    »Was ist mit deinem Stipendium?«, fragte ich und versuchte, den Aufruhr in meinem Inneren zu bezwingen.
    Lydia schob den Stuhl unter den Tisch und wandte den Blick ab.
    »Weißt du eigentlich, was manche deiner Altersgenossen für ein solches Stipendium gäben?«, sagte ich und erhob mich, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein.
    »Es hat keinen Sinn«, sagte sie und lief zur Tür. »Ich hab genug von Politik- und Wirtschaftwissenschaft.«
    Ich erinnerte sie an Shakespeares Worte »Geh in ein Kloster.« Jahrhundertelang waren Klöster Orte, wohin man Frauen abschob. Wenn ein Mann seine Frau oder eine unverheiratete Tochter loswerden wollte, musste er sie nur zu lebenslangem Beten und Keuschheit verdonnern. Zahl und Größe der Klosterruinen in Europa legten ein erschreckendes Zeugnis davon ab. Tausende Frauen waren dort gefangen gehalten worden. Ich wusste zwar nicht viel über asiatische Nonnen der Gegenwart, hatte aber gehört, dass ihr Leben sich nicht sehr von dem mittelalterlicher Nonnen unterschied. Die meisten verbrachten es damit, für Mönche zu putzen, zu kochen und andere niedere Arbeiten auszuführen.
    »Wohin willst du?«, fragte ich.
    »Nach Hause, packen«, sagte sie mit hochrotem Gesicht. »Ich geh zu Fuß. Danke für den Kaffee«, fügte sie noch hinzu, bevor sie im Strom der Passanten verschwand.
    Fassungslos bezahlte ich die beiden Kaffees. In welchem Jahrhundert lebte sie eigentlich? Als ich ein Trinkgeld in das Glas neben der Kasse warf, fiel mir wieder ein, wie ich sie als kleines Mädchen in den Neunzigern mit zu irgendwelchen merkwürdigen New-Age-Veranstaltungen von Freunden geschleift hatte. Ich hatte Kristallheilung und Auradeuten für harmlose Spinnereien gehalten. Vielleicht war sie ja damals mit irgendeiner merkwürdigen spirituellen Droge angefixt worden.
    Während unsere Tochter nach Hause ging, um sich auf ein klösterliches Leben in einem Krisengebiet vorzubereiten, fuhr ich in die Stadt in ein anderes Krisengebiet.
    Wenn man einen verlässlichen Menschen zur seelischen Unterstützung braucht, ist Philip genau der Richtige. Er saß an diesem Nachmittag neben mir im Wartezimmer des Krankenhauses und las eine Segelzeitschrift, während ich mich durch ein Kreuzworträtselbuch arbeitete. Er war die Ruhe in Person. Vielleicht hatte er sich diesen Gleichmut bei der Armee oder in den Jahren im Internat antrainiert.
    Im Wartezimmer roch es nach Angst. Eine Kaffeemaschine blubberte vor sich hin. Ein ungenießbares Gebräu. Wer auch immer das Blumenarrangement ausgesucht hatte, musste einen ziemlich kranken Humor haben. Neben einem Aquarium mit tropischen Fischen stand an prominenter Stelle ein Liliengesteck – wussten sie denn nicht, dass Lilien den Tod symbolisierten?
    Ich wies Philip auf eine aus Treibholz zusammengebastelte Skulptur hin. »Das hätten sie mal besser am Strand gelassen«, murmelte er. Das war seine Art, mir zu sagen, dass auch er diesen Ort

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