Kater mit Karma
als geplant. Das konnte nicht sein. Flugzeuge kamen nie zu früh an.
Philip und ich sprangen ins Auto und brausten über die Autobahn.
»Sie hat bestimmt abgenommen«, sagte ich. »Zwei vegetarische Currys am Tag müssen wie ein Abführmittel wirken. Aber ich werde keinen Ton sagen.«
Philip lächelte, schwieg aber taktvoll. Er ließ mich vor der Ankunftshalle aussteigen und machte sich auf die Suche nach einem Parkplatz. Lydia war nicht zu entdecken unter den Passagieren aus Singapur. Vielleicht hatte sie den Anschlussflug verpasst. Die Fahrt vom Kloster zum Flughafen Colombo hatte sicher mehr als vier Stunden gedauert. Alles Mögliche könnte sie aufgehalten haben – Elefanten, Schlaglöcher, Terroristen. Oder der Flug von Sri Lanka nach Singapur hatte sich verspätet.
Nichts geht über die Ankunftshalle in einem Flughafen, um den Glauben an die Menschheit wiederzufinden. Ein junger Inder umklammerte eine in Folie gewickelte Rose. Eine chinesische Familie starrte wie gebannt auf die Automatiktüren. Überall herrschte gespannte Erwartung. Die Türen glitten auf und ein Mann im Anzug und mit müdem Gesicht trat hindurch. Eine Frau eilte ihm entgegen, ein Kind im Schlepptau. Lachend verknäulten sich die drei ineinander. All die Geschichten von der gesundheitsfördernden Wirkung des Lächelns müssen wahr sein. Auf einmal sah der Mann viel jünger aus, die Spuren des Jetlags waren wie weggewischt.
In den letzten Wochen hatte Lydia nur selten angerufen – entweder weil sie sich in Schweigeklausur befand oder weil die Stromversorgung des Klosters zusammengebrochen war. Einmal hatte sie offenbar geschrieben, aber dem Postamt waren die Briefmarken ausgegangen.
Erneut öffneten sich die Türen. Mein Herz machte einen Sprung. Aber schon beim Anblick des Gepäckwagens wusste ich, dass sie es nicht sein konnte. Teure Koffer und Schnaps aus dem Duty-free-Shop waren nicht ihr Stil.
»Ist sie immer noch nicht da?«, fragte Philip, der nach dem Spurt vom Parkhaus in die Ankunftshalle etwas außer Atem war.
Die Türen taten nicht, was wir wollten. Sie gaben einer schönen jungen Inderin den Weg frei, die von dem Mann mit Rose empfangen wurde, gefolgt von einer alten Chinesin, die sogleich von ihrer Familie umringt wurde. Vielleicht nahmen ja die Zollbeamten Lydia in die Mangel. Ich hatte oft genug Border Patrol gesehen, um zu wissen, wie diese Leute vorgingen und dass sie Spinner besonders auf dem Kieker hatten. Vielleicht hatten sie den Räucherstäbchenduft in ihren Kleidern für etwas anderes gehalten.
Selbst wenn Lydia keine Nonne war, hatte sie sicher wie eine gelebt, in einer Zelle geschlafen und mehr als zwölf Stunden am Tag meditiert. Ich machte mich darauf gefasst, dass sie beschlossen hatte, uns mit einem rasierten Kopf und rotbraunen Gewändern zu überraschen.
Eines habe ich in den Jahren, die ich in Ankunftshallen verbrachte, gelernt. Es gibt nur eine Möglichkeit, Leute dazu zu bringen, durch diese Türen zu kommen, und die besteht darin, in ein Café zu gehen und einen Styroporbecher, besser noch zwei, mit kochend heißem Tee zu kaufen. Kaum bahnte ich mir mit meinen Bechern einen Weg durch die wartende Menge, wobei ich mir die Hände mit dem überschwappenden Tee verbrühte, hörte ich Philips Freudenschrei. Sie war da.
Dünner, das ja. Beinahe besorgniserregend. Aber in ihren Augen lag ein warmer, schöner Glanz. Ihre Kleidung war halbwegs normal, Gott sei Dank. Weiße Hosen und eine Ethno-Jacke. Erleichtert stellte ich fest, dass ihre Haare noch dran waren. Die Farbe, die ich ihr vor dem Abflug spendiert hatte, war ein gutes Stück herausgewachsen. Sie wirkte ein wenig zerzaust oder auch wie ein Rockstar, je nach Perspektive.
Ich warf die beiden Teebecher in den nächsten Abfalleimer, lief auf sie zu und nahm sie in die Arme.
»Du siehst …«, sagte ich, viel zu dürr aus, aber ich werde dich im Handumdrehen wieder aufgepäppelt haben … »toll aus!«
21.
Verführung
Allen im Haus geht’s gut, wenn eine Tochter um ihre Schönheit weiß.
Anders als Cleo, die mit den Jahren immer unabhängiger geworden war, wurde Jonah immer bedürftiger. Er vermisste die Maler und wartete jeden Morgen sehnsüchtig an der Tür auf sie. Da sie ausblieben, folgte er mir miauend durchs Haus. Er erinnerte mich an meine Kinder, als sie ganz klein waren. Wenn sie gar nicht aufhören wollten zu weinen, trug ich sie in einem Tragetuch mit mir herum. Das funktionierte immer. Meine Wärme und Nähe beruhigte
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